Eigenwerte, Eigenräume und charakteristisches Polynom

Es sei $f:V\to V$ Endomorphismus eines Vektorraums über dem Körper $K$. Gesucht ist eine Basis von $V$, bezüglich derer die Abbildung $f$ durch eine möglichst einfache Matrix dargestellt wird.

Definition. Ein Vektor $v\in V\smallsetminus \{0\}$, der durch $f$ auf ein Vielfaches seiner selbst, also $f(v)=\lambda v$, abgebildet wird, heißt Eigenvektor von $f$ zum Eigenwert $\lambda\in K$.

Beispiele.

  1. Wird $f$ bezüglich einer geordneten Basis durch eine Diagonalmatrix
    $$
    \begin{pmatrix}\lambda_1& & 0\\
    & \ddots&\\
    0 & & \lambda_n
    \end{pmatrix}
    $$ dargestellt, so ist jedes $\lambda_i$ Eigenwert und jeder Basisvektor ist Eigenvektor.
  2. Eine Drehung der Ebene $\mathbb{R}^2$ um den Winkel $\alpha$ wird beschrieben durch die Matrix
    $$\begin{pmatrix}
    \cos \alpha&-\sin\alpha\\
    \sin \alpha& \cos\alpha
    \end{pmatrix}.
    $$ Eine solche Drehung besitzt nur dann Eigenvektoren, falls $\alpha$ ein ganzzahliges Vielfaches von $\pi$ ist.

Definition. Für $\lambda\in K$ bezeichne $V(f, \lambda)\subset V$ den Kern des Endomorphismus $\lambda\text{id}_V-f$. Jedes $v\in V(f,\lambda)\smallsetminus\{0\}$ ist Eigenvektor von $f$ zum Eigenwert $\lambda$. Der Unterraum $V(f, \lambda)\subset V$ heißt Eigenraum von $f$ zum Eigenwert $\lambda$.

Wir schreiben für die Abbildung $\lambda\mathrm{id}_V-f$ kurz $\lambda-f$. Offenbar ist $\lambda$ genau dann ein Eigenwert von $f$, wenn $\lambda-f$ kein Isomorphismus ist, also $\det (\lambda-f)=0$ ist.

Definition. Das Polynom $\chi_f\colon=det(t-f) \in K[t]$ heißt charakteristisches Polynom von $f$.

Ist $f$ bezüglich einer geordneten Basis beschrieben durch die Matrix $A$, so ist $t\,{\mathbb I}_n-A$ die Matrix von $t-f$. Auf diese Weise wird auch einer Matrix ein charakteristisches Polynom zugeordnet.
$$
\chi_f (t) =\colon \chi_A (t)=\det (t\,{\mathbb I}_n-A)=
\begin{vmatrix}t-a_{11}&-a_{12}&\ldots&-a_{1 n}\\
-a_{21}&t-a_{22}&\ldots&-a_{2 n}\\
\vdots&\vdots&&\vdots\\
-a_{n 1}&-a_{n
2}&\ldots&t-a_{n n}
\end{vmatrix}
$$

Beispiele: In den obigen Beispielen gilt:

  1. Wird $f$ durch bezüglich einer geeigneten Basis durch eine Diagonalmatrix dargestellt, so ist das charakteristische Polynom ein Produkt
    \[\chi_f (t)=\prod\limits^n_{k=1}(t-\lambda_k)\] von Linearfaktoren.
  2. Das charakteristische Polynom einer Drehung der Ebene um den Winkel $\alpha$
    \[\begin{vmatrix}t-\cos \alpha&\sin \alpha\\
    -\sin \alpha&t-\cos \alpha
    \end{vmatrix}\;=(t-\cos \alpha)^2 + \sin \alpha^2\]
    besitzt offensichtlich nur dann eine reelle Nullstelle, falls $\sin\alpha=0$ ist. Als Polynom über den komplexen Zahlen besitzt das charakteristische Polynom einer Drehmatrix zwei Nullstellen $e^{\pm i\alpha}=\cos\alpha\pm i\sin\alpha$. Ein durch eine Drehmatrix beschriebener Endomorphismus eines $2$-dimensionalen komplexen Vektorraums besitzt folglich immer Eigenwerte.

Hier haben wir eine Erkenntnis benutzt, die wir, obwohl sie aus unserer Herleitung offensichtlich ist, ob ihrer Bedeutung als Satz formulieren wollen:

Satz. Ein Element $\lambda\in K$ ist genau dann Eigenwert von $f$, wenn $\lambda$ Nullstelle des charakteristischen Polynoms von $f$ ist.

Ordnen wir das charakteristische Polynom einer Abbildung $f$ oder einer Matrix $A$ nach Potenzen von $t$, so bekommen wir einen Polynomausdruck
$$
a_0+ a_1\,t+ \ldots +a_{n-1}\, t^{n-1}+a_n\,t^n.
$$ Die Koeffizienten $a_j$ des charakteristischen Polynoms sind Invarianten des Endomorphismus $f$. Beschreiben zwei Matrizen denselben Endomorphismus bezüglich verschiedener Basen, so sind die charakteristischen Polynome der beiden Matrizen gleich, das heißt, ist $S$ eine invertierbare Matrix, so gilt $\chi_{SAS^{-1}}=\chi_A$. Inwieweit gilt die Umkehrung? Genauer können wir uns folgende Fragen stellen:

  • Inwieweit ist der Endomorphismus $f$ schon durch sein charakteristisches Polynom bestimmt?
  • Falls die charakteristischen Polynome zweier Matrizen $A$ und $B$ übereinstimmen, sind sie dann konjugiert, d.h. gibt es dann eine invertierbare Matrix $S$ mit \[B=SAS^{-1}?\]
  • Welche Polynome treten als charakteristische Polynome von Endomorphismen auf?

Diese Fragen werden wir in dieser Vorlesung zwar nicht erschöpfend beantworten; sie sollen aber als Leitfaden für die nächsten Stunden dienen. Zunächst zu den Koeffizienten des charakteristischen Polynoms:

Proposition Der Endomorphismus $f$ eines $n$-dimensionalen Vektorraums werde bezüglich einer geordneten Basis durch die Matrix $A$ beschrieben. Für die Koeffizienten des charakteristischen Polynoms \[\chi_f(t)=\sum_{j=0}^na_jt^j\] gilt dann:

  • $a_0=(-1)^n\det(f)=(-1)^n\det(A)$
  • $a_n=1$
  • $a_{n-1}=-\mathrm{tr} (f)=-\mathrm{tr} (A)$, wobei die Spur $\mathrm{tr} (A)$ einer Matrix $A$ definiert ist als die Summe der Einträge in der Diagonale.

Beweis. Bei den Summanden in der Leibniz-Formel zur Matrix $A=(a_{ij})$
$$
\det(t{\mathbb I}_n-A)=
\sum_{\sigma\in S_n}\text{sign}(\sigma) \; \beta_\sigma
$$ handelt es sich für $\sigma=id$ um den Ausdruck
\[
\beta_\text{id}=(t-a_{11})\cdot\ldots\cdot(t-a_{n n})=
t^n-\left(a_{11}+a_{22}+\ldots+a_{nn}\right)t^{n-1}+
\ldots\] Hier stehen die Punkte für Terme der Ordnung kleiner gleich $n-2$ in $t$. Bei den restlichen Summanden $\beta_\sigma$ für $\sigma \ne \text{id}$ tauchen jeweils höchstens $(n-2)$ Faktoren der Form $(t-a_{ii})$ auf. Die Aussagen über die Koeffizienten $a_n$ und $a_{n-1}$ folgen. Der Koeffizient $a_0$ berechnet sich, wenn man $t$ gleich Null setzt.
qed

Satz. Sei $P\in K[t]$ ein Polynom vom Grad $n > 1$ und sei $\lambda\in K$ eine Nullstelle dieses Polynoms. Dann gibt es ein Polynom $Q$ vom Grad $(n-1)$ mit $P=Q\cdot (t-\lambda)$.

Beweis: Wir konstruieren rekursiv Polynome $Q_i$ und $R_i$ mit den Eigenschaften

  • $P=Q_i\cdot (t-\lambda)+ R_i$
  • $\deg (Q_i)=n-1$ für $n\ge i > 0$
  • $\deg (R_i)\leq n-i$ für $n\ge i \ge 0$.

Sei $Q_0=0$ und $R_0=P$. Für $0\le i\lt n$ seien $Q_{i}$ und
\[R_{i}=\rho_{n-i}\, t^{n-i} + \rho_{n-i-1}\, t^{n-i-1} +\ldots
+ \rho_1\, t+\rho _0\] gegeben. Setze
\begin{align*}
R_{i+1}&=R_{i}-\rho_{n-i}\,t^{n-i-1} (t-\lambda)\\
&=(\rho_{n-i-1}+\rho_{n-i}\lambda)
t^{n-i-1}+\rho_{n-i-2}\,t^{n-i-2} + \ldots +\rho_1\, t+\rho_0
\end{align*} und \[Q_{i+1}=Q_{i}+\rho_{n-i}\,t^{n-i-1}.\] Die Polynome $Q_i$ und $R_i$ erfüllen obige Eigenschaften. Somit gilt $P=Q_n(t-\lambda)+R_n$ mit $R_n$ vom Grad $0$, also $R_n\in K$. Einsetzen von $t=\lambda$ ergibt $0=P(\lambda)=Q_n\cdot(\lambda -\lambda)+R_n=R_n$.
qed

Aus dem bereits früher erwähnten Fundamentalsatz der Algebra erhält man im Falle $K=\mathbb{C}$ als Konsequenz:

Korollar. Ein Polynom $P\in\mathbb{C}[X]$ vom Grad $n>0$ zerfällt in Linearfaktoren
\[P=\alpha\cdot\prod\limits^n_{i=1}(t-\lambda_i)\] mit komplexen Zahlen $\alpha$ und $\lambda_i$.

Beweis. Die Aussage gilt offensichtlich für $n=1$. Für höhere Grade folgt sie induktiv: Sei $P$ Polynom von Grad $n$, dann existiert eine Nullstelle $\lambda_n$ nach dem Fundamentalsatz. Also gilt $P=Q(t-\lambda_n)$ mit $\deg Q < n$. Nach Induktion gilt
\[P=\big(\alpha\cdot\prod\limits^{n-1}_{i-1}(t-\lambda_i)\big
)\cdot (t-\lambda).\]qed

Zurück zum charakteristischen Polynom.

Satz. Sei $f\colon V\to V$ ein Endomorphismus, $\lambda\in K$ und $m$ die Vielfachheit von $\lambda$ als Nullstelle von $\chi_f$. Dann gilt: $\dim V(f,\lambda)\le m$.

Beweis. Ist $m>0$, so ist $\lambda$ Eigenwert, also $\dim V(f,\lambda)=r >0$. Sei $(v_1,\ldots , v_{r})$ eine geordnete Basis von $V(f,\lambda)$. Diese werde zu einer geordneten Basis von $V$ ergänzt. Die Matrix von $f$ bezüglich einer solchen geordneten Basis ist von Blockform
\[
A=\left(\begin{array}{cc}\lambda{\mathbb I}_r&*\\
0&B
\end{array}\right).
\] Daraus läßt sich das charakteristische Polynom partiell berechnen
\[
\chi_f(t)=\left|\begin{array}{cc}
(t-\lambda) {\mathbb I}_r&*\\
0&t{\mathbb I}_{n-r}-B
\end{array}\right|=(t-\lambda)^{r}\cdot \chi_B(t).
\] Aus dieser Darstellung ergibt sich $r=\dim V(f,\lambda)\le m $.
qed

Hier einige Beispiele im zweidimensionalen Vektorraum
$V=K^2$:

  • Ist $f\colon V\to V$ die identische Abbildung, so besitzt das charakteristische Polynom $\chi_f(t)=(t-1)^2$ die $1$ als doppelte Nullstelle. Der Eigenraum zum einzigen Eigenwert ist der ganze Raum $ V(f,1)=V $
  • Eine Scherung $f$, beschrieben durch die Matrix
    \[\begin{pmatrix}1&1\\
    0&1
    \end{pmatrix},\] besitzt das gleiche charakteristische Polynom $\chi_f(t)=(1-t)^2$. Der Eigenraum zum einzigen Eigenwert ist allerdings nur eindimensional
    \[ V(f,1)= \ker\begin{pmatrix}0&1\\ 0&0
    \end{pmatrix}=\mathbb{R} \begin{pmatrix}1\\ 0 \end{pmatrix}.
    \]

Satz. Eigenvektoren $v_1,\ldots ,v_r$ zu paarweise verschiedenen Eigenwerten $\lambda_1,\ldots, \lambda_r$ sind linear unabhängig.

Beweis. Ist $r=1$, so ist $v_1\ne 0$ nach Definition. Im Falle $r >1$ nehmen wir an, der Satz sei für $i < r$ bewiesen, es gelte aber eine Relation
\[\sum\limits^{r-1}_{i=1}\mu_i
v_i=v_r.\] Es folgt
\begin{align*}
0=(\lambda_r-f)(v_r)=
\sum^{r-1}_{i=1}(\lambda_r-\lambda_i) \mu_i v_i=0
\end{align*} Die Vektoren $v_1,\ldots,v_{r-1}$ sind nach Induktionsannahme linear unabhängig. Die Koeffizienten in dieser Linearkombination müssen verschwinden: $(\lambda_r-\lambda_i)\mu_i=0$ und folglich $\mu_i=0$.
qed

Unterstützt von Drupal