Ziel des Abschnittes ist ein Beweis des Satzes von Tychonoff mit Hilfe des Zornschen Lemmas. Tatsächlich sind die beiden Aussagen äquivalent.
4.4.1. Satz von Tychonoff. Das Produkt $X=\prod_{i\in I}X_i$ topologischer Räume $X_i$ für eine beliebige Indexmenge $I$ ist genau dann kompakt, wenn alle Faktoren $X_i$ kompakt sind.
Die eine Richtung ist banal. Ist $X$ nämlich kompakt, so sind alle Faktoren $X_i$ als Bilder unter den stetigen Projektionen $\pi_i\colon X\to X_i$ kompakt. Für die andere Richtung brauchen wir etwas Technik. Die konzeptionell einfachste Herangehensweise benutzt Filter. Das Konzept des Filters erlaubt es, den Konvergenzbegriff auf Räume zu verallgemeinern, in denen Folgenkonvergenz wenig Sinn macht.
4.4.2. Definition. Ein Filter $\mathcal F$ auf einer Menge $X$ ist eine Teilmenge der Potenzmenge von $X$ mit folgenden Eigenschaften: Ein Mengensystem $\mathcal B$, das nur die ersten drei Eigenschaften erfüllt, nennt man Filterbasis. Eine Filterbasis erzeugt einen Filter $\langle \mathcal B\rangle :=\{A\subset X\mid \exists B\in \mathcal B\colon B\subset A\}$.
4.4.3. Beispiele.
- Der von einer nichtleeren Teilmenge $C\subset X$ erzeugte Hauptfilter $\mathcal F_C$ ist die Menge der Obermengen $$\mathcal F_C=\{A\subset X\mid C\subset A\}.$$
- Der Umgebungsfilter $\mathcal U(C)$ einer nichtleeren Teilmenge $C$ eines topologischen Raumes $(X,\mathcal T)$ besteht aus allen Umgebungen von $C$, also $$\mathcal U(C)=\{U\subset X\mid \exists O\in \mathcal T \colon C\subset O\subset U\}.$$
- Ist $f\colon X\to Y$ eine Abbildung und $\mathcal F$ ein Filter auf $X$, so nennt man den von der Filterbasis $\{f(F)\subset Y\mid F\in \mathcal F\}$ erzeugten Filter den Bildfilter $f(\mathcal F)$ von $\mathcal F$ unter der Abbildung $f$.
- Ist $S$ eine unendliche Menge, dann heißt $$\{ M\subset S\mid S\setminus M \text{ ist endlich }\}$$ Fréchet-Filter von $S$.
- Eine Folge $(x_n)_{n\in \mathbb N}$ in einer Menge $X$ induziert in natürlicher Weise einen Filter $\mathcal X_\ast$. Betrachtet man die Folge als Abbildung $x_{\_}\colon \mathbb N\to X$, so ist $\mathcal X_\ast$ der Bildfilter des Fréchet-Filters auf $\mathbb N$. Eine Teilmenge $A\subset X$ ist genau dann Element des Filters $\mathcal X_*$, wenn $A$ alle bis auf endlich viele der Folgenglieder $x_n$ enthält.
4.4.4. Definition. Ein Filter $\mathcal F$ auf einem topologischen Raum $X$ heißt konvergent gegen $x\in X$, wenn $\mathcal U(x) \subset \mathcal F$ gilt, das heißt, wenn $\mathcal F$ feiner als der Umgebungsfilter $\mathcal U(x)$ ist. Man schreibt $\mathcal F\to x$.
Ist $X$ ein topologischer Raum und $x\in X$, so ist der Umgebungsfilter $\mathcal U(x)$ der gröbste gegen $x$ konvergierende Filter. Alle anderen gegen $x$ konvergierenden Filter, wie zum Beispiel alle durch gegen $x$ konvergierende Folgen definierte Filter enthalten den Umgebungsfilter $$\mathcal X_*\supset \mathcal U(x).$$
4.4.5. Definition. Ein Filter $\mathcal F$ auf einem topologischen Raum $X$ heißt Ultrafilter, wenn jeder Filter, der $\mathcal F$ enthält, gleich $\mathcal F$ ist. Anders ausgedrückt ist ein Ultrafilter ein maximales Element bezüglich der Enthaltensrelation.
Der Hauptfilter $\mathcal F_x$ eines Punktes $x\in X$ ist ein Ultrafilter. Ist nämlich $A\subset X$ nicht Element von $\mathcal F_x$, so ist $x\in X\setminus A$ und folglich $X\setminus A\in \mathcal F_x$. Hinzufügen von $A$ zur Familie $\mathcal F_x$ würde die Filtereigenschaft zerstören, da $A$ leeren Durchschnitt mit einem Element des Filters hat.
4.4.6. Satz. Jeder Filter liegt in einem Ultrafilter.
Beweis. Dies ist eine direkte Anwendung des Zornschen Lemmas. Die Menge der Verfeinerungen eines gegebenen Filters $\mathcal F$ ist durch Inklusion partiell geordnet. Ist $K$ eine Kette in dieser Menge, so ist sie beschränkt durch den Filter $\bigcup_{\mathcal G\in K}\mathcal G$. Denn sind $G,G'\in \bigcup_{\mathcal G\in K}\mathcal G$, so sind beide $G$ und $G'$ bereits in einem Filter $\mathcal G$ in der Kette enthalten. Damit gilt für den Durchschnitt $G\cap G'\not=\emptyset$. Das Zornsche Lemma serviert uns nun ein maximales Element.
qed
Ultrafilter lassen sich schön charakterisieren:
4.4.7. Satz. Ist $\mathcal F$ ein Ultrafilter auf $X$ und $A\subset X$, so gilt entweder $A \in \mathcal F$ oder $(X\setminus A)\in\mathcal F$.
Beweis. Existiert ein $F\in \mathcal F$ mit $A\cap F=\emptyset$, so ist $F\subset (X\setminus A)$ und folglich $(X\setminus A)\in \mathcal F$. Ist dagegen $F\cap A\not= \emptyset$ für alle $F\in \mathcal F$, dann enthält der von den Durchschnitten erzeugte Filter $$\mathcal F':=\left\langle F\cap A\mid F\in\mathcal F\right\rangle$$ sowohl $A$ als auch $\mathcal F$. Aus der Maximalität von $\mathcal F$ folgt $A\in \mathcal F'=\mathcal F$.
qed
4.4.8. Satz. Ein topologischer Raum ist genau dann kompakt, wenn jeder Ultrafilter konvergiert.
Beweis. Ist $\mathcal F$ ein nicht konvergenter Ultrafilter, so existiert zu jedem $x\in X$ eine offene Umgebung $U(x)$, welche nicht in $\mathcal F$ liegt. Der Ultrafilter $\mathcal F$ enthält nach 4.4.7 also alle Komplemente $X\setminus U(x)$. Ist $X$ kompakt, so ist $X=\bigcup_{y\in Y} U(y)$ für eine endliche Teilmenge $Y\subset X$ und folglich ist der endliche Durchschnitt $$\bigcap_{y\in Y}\left(X\setminus U(y)\right)= X\setminus \bigcup_{y\in Y} U(y)\in \mathcal F$$ die leere Menge. Das kann aber nicht sein.
Ist umgekehrt $\mathfrak U$ eine offene Überdeckung von $X$, welche keine endliche Teilüberdeckung besitzt, so ist $$\left\{X\setminus \bigcup_{V\in \mathfrak V}V\quad\middle|\quad \mathfrak V\subset \mathfrak U \text{ endlich }\right\}$$ eine Filterbasis. Ist $\mathcal F$ ein zugehöriger Ultrafilter mit Grenzwert $x$, so ist $x$ enthalten in einer der Überdeckungsmengen $U\in \mathfrak U$ und folglich $U\in \mathcal F$, im Widerspruch zu $(X\setminus U)\in \mathcal F$.
qed
Wir kommen zum Beweis des Satzes von Tychonoff.
Beweis von 4.4.1. Es sei $X=\prod_{i\in I}X_i$ ein Produkt kompakter topologischer Räume und $\mathcal F$ ein Ultrafilter auf $X$. Im ersten Schritt identifizieren wir die Bildfilter $\pi_i\mathcal F$ als Ultrafilter auf den Faktoren $X_i$, die nach 4.4.8 gegen Punkte $x_i\in X_i$ konvergieren. Nachdem wir derart einen Kandidaten $x=(x_i)_{i\in I}$ für den Konvergenzpunkt von $\mathcal F$ ausfindig gemacht haben, zeigen wir im zweiten Schritt, dass der Ultrafilter tatsächlich gegen diesen Punkt konvergiert.
- Schritt: $\pi_i\mathcal F$ ist ein Ultrafilter. Wegen der Surjektivität der Projektion $\pi_i\colon X\to X_i$ ist $$\mathcal F_i:=\{\pi_i(F)\mid F\in\mathcal F \}$$ bereits ein Filter und damit gleich dem Bildfilter $=\pi_i\mathcal F$: Der Durchschnitt $\pi_i(F)\cap \pi_i(F')$ ist eine Obermenge von $\pi_i(F\cap F')$ für Elemente $F,F'\in \mathcal F$. Ist $U$ eine Obermenge von $\pi_i(F)$ für ein $F\in \mathcal F$, so ist $\pi_i^{-1}(U)$ eine Obermenge von $F$ und folglich $U=\pi_i\left(\pi_i^{-1}(U)\right)\in \mathcal F_i$. Zum Nachweis der Maximalität betrachten wir eine Inklusion $\mathcal F_i\subset \mathcal G$ von Filtern auf $X_i$. Ist $G\in \mathcal G$, so ist $G\cap \pi_i(F)\not=\emptyset$ für jedes $F\in \mathcal F$. Dementsprechend ist $$\left\{\left(\pi_i^{-1}(G)\cap F\right)\mid G\in \mathcal G, F\in \mathcal F\right\}$$ eine Filterbasis, welche $\mathcal F$ enthält und wegen der Maximalität gleich $\mathcal F$ ist. Es folgt für $G\in \mathcal G$, dass $\pi_i^{-1}G\in \mathcal F$ gilt und $G=\pi_i\left(\pi_i^{-1}G\right)\in \mathcal F_i$. Folglich ist $\mathcal F_i$ ein Ultrafilter auf dem Kompaktum $X_i$ und konvergiert gegen einen Grenzwert $x_i$. Wir setzen $x=(x_i)_{i\in I}$.
- Schritt: $\mathcal F$ konvergiert gegen $x$: Ist $U$ eine Umgebung von $x$, so gibt es nach Definition der Produkttopologie eine endliche Menge $J\subset I$, sowie Umgebungen $U_j\subset X_j$ der Komponenten $x_j\in X_j$ mit $U\supset\bigcap_{j\in J}\pi_j^{-1}(U_j)$. Für jedes $j\in J$ ist die Menge $U_j$ im Umgebungsfilter von $x_j$, folglich in $\mathcal F_j$ und damit ist $\pi_j^{-1}(U_j) \in \mathcal F$ für jedes $j\in J$. Da Filter abgeschlossen sind gegenüber endlichen Durchschnitten und dem Bilden von Obermengen, sind auch die Menge $\bigcap_{j\in J}\pi_j^{-1}(U_j)$ und deren Obermenge $U$ in $\mathcal F$ enthalten.
qed