4.1. Kompakte Räume

4.1.1. Definition. Es sei $X$ ein topologischer Raum. Eine Familie $\mathfrak U$ offener Teilmengen von $X$ heißt offene Überdeckung, wenn gilt $$X=\bigcup_{U\in \mathfrak U}U.$$ Gilt gilt $X=\bigcup_{U\in \mathfrak V}U$ für eine Teilmenge $\mathfrak V\subset \mathfrak U$, so nennt man $\mathfrak V$ eine Teilüberdeckung (von $\mathfrak U$). Der Raum $X$ heißt kompakt, falls jede offene Überdeckung eine endliche Teilüberdeckung besitzt.

Die Literatur ist leider nicht ganz konsistent darin, welche Eigenschaften sie mit dem Begriff kompakt verbindet: Einige Autoren bezeichnen Räume, die die obige Überdeckungseigenschaft erfüllen, als quasi-kompakt und verlangen für die Verleihung des Adjektivs kompakt zusätzlich die Hausdorff-Eigenschaft.

4.1.2. Beispiel. Das Einheitsintervall $[0,1]\subset \mathbb R$ ist kompakt. Um das einzusehen, definieren wir zu einer offenen Überdeckung $\mathfrak U$ die Teilmenge $$M:=\left\{s\in [0,1]\,\middle|\, \exists \text{ eine endliche Teilüberdeckung von } [0,s]\right\}.$$ Die Menge $M$ ist nicht leer, denn sie enthält sicherlich die $0$. Sie ist eine offene Teilmenge von $[0,1]$, denn ist $s\in M$, so überdecken die endlich vielen offenen Mengen, welche $[0,s]$ überdecken, auch eine offene Umgebung von $[0,s]$. Die Menge $M$ ist aber auch abgeschlossen, denn ist $t\in \partial M$ ein Element des Randes von $M$ in $[0,1]$, und ist $U\in \mathfrak U$ eine offene Menge, die $t$ enthält, so enthält $U$ eine $\varepsilon$-Umgebung von $t$ und diese wiederum enthält ein Element $s\in M$. Fügen wir der endlichen Teilüberdeckung von $[0,s]$ die Menge $U$ hinzu, so erhalten wir eine endliche Teilüberdeckung des Intervalls $[0,t]$. Also gilt $t\in M$. Damit ist $M$ eine nicht leere Zusammenhangskomponente von $[0,1]$ und folglich gleich dem Einheitsintervall.

Der Begriff der Kompaktheit ist bedeutsam, da er sich, wie auch der Begriff des Zusammenhangs, auf stetige Bilder überträgt:

4.1.3. Satz. Bilder kompakter Räume unter stetigen Abbildungen sind kompakt.

Beweis. Ist $X$ kompakt und $f\colon X\to Y$ stetig, so sei $\mathfrak U$ eine offene Überdeckung von $f(X)\subset Y$. Die Kompaktheit von $X$ liefert eine endliche Teilüberdeckung $f^{-1}\mathfrak V$ der offenen Überdeckung $f^{-1}\mathfrak U$ von $X$ und damit eine endliche Teilüberdeckung $\mathfrak V$ von $f(X)$.
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4.1.4. Satz. Abgeschlossene Teilmengen eines Kompaktums sind kompakt.

Beweis. Es sei $A\subset X$ abgeschlossen im kompakten Raum $X$ und $\mathfrak U$ eine Überdeckung von $A$ durch offene Teilmengen von $X$. Die offene Überdeckung $\mathfrak U':=\mathfrak U\cup \{X\setminus A\}$ von $X$ besitzt eine endliche Teilüberdeckung $\mathfrak V'$. Folglich ist $\mathfrak V:=\mathfrak V'\setminus \{X\setminus A\}\subset \mathfrak U$ eine endliche Teilüberdeckung von $A$.
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Der Grund, warum einige Autoren Kompaktheit gern mit der Hausdorff-Eigenschaft verknüpfen, ist folgende Aussage.

4.1.5. Satz. Ein kompakter Unterraum eines Hausdorff-Raums ist abgeschlossen.

Beweis. Ist $K$ kompakter Unterraum des Hausdorff-Raums $X$ und $x\in X\setminus K$, so existieren zu jedem Element $k\in K$ offene und disjunkte Umgebungen $V_k$ von $x$ und $U_k$ von $k$. Die Umgebungen $U_k$ bilden eine offene Überdeckung von $K$. Es gibt also eine endliche Teilmenge $K_0\subset K$ mit $K\subset U=\bigcup_{k\in K_0}U_k$. Diese, und folglich die Teilmenge $K$, ist disjunkt zur offenen Umgebung $V:=\bigcap_{k\in K_0}V_k$ von $x$.
qed

4.1.6. Korollar. Stetige Abbildungen kompakter Räume in Hausdorff-Räume sind abgeschlossen.

Beweis. Ist $f\colon X\to Y$ eine solche Abbildung und $A\subset X$ abgeschlossen, so ist $A$ nach 4.1.4. kompakt, das stetige Bild $f(A)\subset Y$ nach 4.1.3 kompakt und nach 4.1.5 abgeschlossen.
qed

4.1.7. Korollar. Stetige Bijektionen von kompakten Räumen in Hausdorff-Räume sind homöomorph.

Beweis. Stetigkeit impliziert, dass Urbilder abgeschlossener Mengen abgeschlossen sind. Nach 4.1.6 sind Bilder abgeschlossener Mengen abgeschlossen. Die Umkehrfunktion ist folglich ebenfalls stetig.
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Eine endliche Menge, egal mit welcher Topologie wir sie versehen, ist immer kompakt. Im Allgemeinen hat Kompaktheit folglich wenig mit Trennungseigenschaften zu tun. Jedoch gilt:

4.1.8. Satz. Kompakte Hausdorff-Räume sind normal.

Beweis. Es seien $A$ und $B$ disjunkte, abgeschlossene Teilmengen des kompakten Hausdorff-Raums $X$. Zu $a\in A$ und $b\in B$ existieren disjunkte offene Umgebungen $U_{a,b}$ von $a$ und $V_{a,b}$ von $b$. Da $A$ kompakt ist, gibt es zu jedem $b\in B$ eine endliche Teilmenge $A_b\subset A$ mit $A\subset \bigcup_{a\in A_b}U_{a,b}=:U_b$. Die offene Umgebung $U_b$ von $A$ ist disjunkt zur offenen Umgebung $V_b:=\bigcap_{a\in A_b}V_{a,b}$ von $b$. Die Kompaktheit von $B$ liefert eine endliche Teilmenge $B_0\subset B$ mit $B\subset \bigcup_{b\in B_0}V_b=:V$. Die offene Umgebung $V$ von $B$ ist dann disjunkt zur offenen Umgebung $U:=\bigcap_{b\in B_0}U_b$ von $A$.
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