Diese Vorlesung ist eine Einführung in die Topologie und ist die erste einer Reihe von Vorlesungen über Geometrie und Topologie. Die Topologie beschäftigt sich mit qualitativen Eigenschaften geometrischer Objekte. Der Begriffsapparat ist sehr allgemein und findet in fast allen Teilen der modernen Mathematik Anwendung.
Nach einer kurzen und systematischen Einführung topologischer Grundbegriffe und einer Diskussion universeller Konstruktionen werden insbesondere Kompaktheit und Zusammenhang besprochen. Der Begriff der Garbe wird im Kontext étaler Abbildungen diskutiert und bildet den Einstieg in die Überlagerungstheorie, dem topologischen Pendant der algebraischen Galois-Theorie. Die Rolle der algebraischen Galois-Gruppe übernimmt hierbei die topologische Fundamentalgruppe, welche mittels Zusammenhangskomponenten von Wegeräumen und Schleifenräumen konstruiert wird.
Die in der Topologie angesprochenen Probleme sind subtil. Allein schon die Formulierung der Fragestellungen erfordert erhebliches Vorwissen. Die Gestalterkennung ist ein solches Problem, wie auch der Begriff der räumlichen Dimension. Teilmengen $X\subset \mathbb R^m$ und $Y\subset \mathbb R^n$ heißen topologisch äquivalent oder homöomorph, wenn zueinander inverse stetige Abbildungen $f:X\to Y$ und $g:Y\to X$ existieren, das heißt, es gilt $f\circ g=\mathrm{id}_Y$ und $g\circ f=\mathrm{id}_X$.
In der Regel ist die Aussage, $X$ und $Y$ seien topologisch äquivalent, nicht sonderlich aufregend. Es reicht, entsprechende Abbildungen anzugeben:
- Das offene Intervall $(-1,1)$ und die Gerade $\mathbb R$ sind topologisch äquivalent vermöge der Abbildungen $$
x\mapsto\tan\left(\frac{\pi x}{2}\right)\;\;\text{ und }\;\;y\mapsto\frac{2}{\pi}\arctan\left(x\right).$$ - Die $n$-dimensionale Einheitssphäre $$S^n=\{x\mid \|x\|_2=1\}\subset \mathbb R^{n+1}$$ und der $n$-dimensionale Rand des Einheitswürfels $$W^n=\{x\mid \|x\|_\infty=1\}\subset \mathbb R^{n+1}$$ sind topologisch äquivalent. Hier können wir die Normen $$\|x\|_2=\sqrt{\Sigma_{i=0}^nx^2_i}\;\;\text{ und }\;\;\|x\|_\infty =\mathrm{max}_i\left|x_i\right|$$ für $x=\left(x_0,x_1,\ldots,x_n\right)\in \mathbb R^{n+1}$ sowohl zur Beschreibung der geometrischen Objekte benutzen, wie auch zur Beschreibung der zueinander inversen stetigen Abbildungen $$s\mapsto \frac{s}{\|s\|_\infty} \;\;\text{ sowie }\;\; w\mapsto \frac{w}{\|w\|_2}.$$
Anders verhält es sich mit der Aussage, $X$ und $Y$ seien topologisch nicht äquivalent. Der Ansatz, alle möglichen Abbildungen daraufhin zu inspizieren, ob sich eine topologische Äquivalenz darunter befindet, ist selten zielführend. Man muss sich einen Grund ausdenken, warum es keine topologische Äquivalenz geben kann. Das ist oft schwierig.
Hier sind zwei Beispiele, die offensichtlich topologisch nicht äquivalent sind. Dies zu beweisen erfordert aber jeweils einigen Aufwand:
- Die zwei-dimensionale Sphäre, d.h. die Kugeloberfläche, ist nicht topologisch äquivalent zum zwei-dimensionalen Torus, d.h. einer Reifenoberfläche, oder einer Brezeloberfläche.
- Der Satz von der topologischen Invarianz der Dimension besagt: Die euklidischen Räume $\mathbb R^m$ und $\mathbb R^n$ sind topologisch nicht äquivalent, wenn $m\not= n$.
Das erste Beispiel wird im Rahmen der Vorlesung besprochen. Wir wollen uns hier dem zweiten dieser Beispiele zuwenden.
Die topologische Invarianz der Dimension wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewiesen. Zuvor war es ein berühmtes Problem, das als sehr beunruhigend empfunden wurde. Der Grund lag in einem Phänomen, das der italienische Mathematiker Giuseppe Peano gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte:
0.1. Satz von der Peano-Kurve. Für jedes $n$ existiert eine surjektive, stetige Abbildung $\mathbb R^1\to \mathbb R^n$.
Die Peano-Kurve kann analog zu der im nächsten Satz explizit angegebenen Abbildung konstruiert werden. Die genauen Details möge der geneigte Leser sich zur Übung selbst erknobeln.
0.2. Satz. Es existiert eine surjektive, stetige Abbildung $\mathbb [0,1]\to [0,1]\times [0,1]$.
Beweis. Es wir betrachten zur Konstruktion einer solchen Abbildung eine spezielle Teilmenge $C\subset [0,1]$ des Einheitsintervalls. Für diese, als Cantor-Menge oder auch Cantorsches Diskontinuum bekannte, Teilmenge zeigen wir drei Aussagen:
- Es existiert eine stetige, surjektive Abbildung $C\to C\times C$.
- Es existiert eine stetige, surjektive Abbildung $C\to [0,1]$.
- Jede stetige Abbildung $C\to [0,1]\times [0,1]$ lässt sich zu einer stetigen, auf dem ganzen Intervall $[0,1]$ definierten, Abbildung fortsetzen.
Die behauptete Abbildung gewinnen wir in der Kombination dieser drei Aussagen: Die Abbildung $f=(b\times b)\circ a\colon C\to [0,1]\times [0,1]$ besitzt nach (c) eine stetige Fortsetzung $F\colon \mathbb [0,1]\to [0,1]\times [0,1]$. Diese ist surjektiv, da ja schon ihre Einschränkung auf $C$ surjektiv ist.
Zur ersten Beschreibung des Cantorschen Diskontinuums starten wir mit dem Einheitsintervall $E_0:=[0,1]$. Wir erhalten $E_1:=[0,\frac13]\cup[\frac23,1]\subset E_0$, indem wir aus dem Einheitsintervall $E_0$ das offene mittlere Drittel entfernen. Rekursiv besteht $E_n$ aus $2^n$ abgeschlossenen Teilintervallen der Länge $\left(\frac13\right)^n$ von $[0,1]$ und wir erhalten $E_{n+1}\subset E_n$ aus $E_n$, indem wir aus jedem dieser Teilintervalle jeweils das offene mittlere Drittel entfernen. Das Cantorsche Diskontiuum schließlich ist der Durchschnitt $$C:=\cap_{n=0}^\infty E_n.$$ Eine zweite Beschreibung der Cantormenge benutzt die triadische Entwicklung reeller Zahlen $x\in[0,1]$. Wie wir wissen, lässt sich $x$ darstellen als Reihe $$x=\sum_{i=1}^\infty\frac{a_i}{3^i}=\lim_{n\to\infty}\sum_{i=1}^n\frac{a_i}{3^i}\quad\text{ mit } a_i\in\{0,1,2\} \text{ für alle } i\in \mathbb N.$$ Eine solche Reihendarstellung ist im Allgemeinen nicht eindeutig. Wir sehen uns das näher an. Es seien $x=\sum_{i=1}^\infty\frac{a_i}{3^i}$ und $y=\sum_{i=1}^\infty\frac{b_i}{3^i}$ zwei solche Reihendarstellungen und es gelte $a_i=b_i$ für $i\lt m$ und ohne Einschränkung $a_m\lt b_m$. Dann gilt $$ y-x=\left(\frac{b_m}{3^m}-\frac{a_m}{3^m}\right) - \left(\sum_{i=m+1}^\infty\frac{a_m}{3^m}-\sum_{i=m+1}^\infty\frac{b_m}{3^m}\right).$$ Der Term in der zweiten Klammer lässt sich abschätzen: $$\left|\sum_{i=m+1}^\infty\frac{a_i}{3^i}-\sum_{i=m+1}^\infty\frac{b_i}{3^i}\right|\le \sum_{i=m+1}^\infty\frac{|a_i-b_i|}{3^i}\le \sum_{i=m+1}^\infty\frac{2}{3^i} =\frac2{3^{m+1}}\sum_{j=0}^\infty\left(\frac13\right)^j=\frac1{3^m}.$$ Insbesondere gilt:
- $y\ge x$.
- Gilt $x=y$, so gilt $b_m=a_m+1$ und weiterhin $a_i=2$ und $b_i=0$ für alle $i\gt m$. Insbesondere muss eine der beiden Zahlen $a_m$ oder $b_m$ gleich $1$ sein.
- Gilt $b_m=2$ und $a_m=0$, so gilt die Abschätzung $y-x\ge\frac1{3^m}$.
Wir erhalten unsere zweite Beschreibung der Cantormenge $$C:=\left\{x\in [0,1]\,\middle|\, x=\sum_{i=1}^\infty\frac{a_i}{3^i}, a_i\in \{0,2\}\right\}.$$ Jeder Punkt der Cantormenge besitzt eine triadische Entwicklung, in der die $1$ nicht vorkommt und wird eindeutig durch eine solche triadische Entwicklung beschrieben. Wir halten fest: Unterscheiden sich die eindeutigen triadischen Entwicklungen von $x,y\in C$ an der $m$-ten Stelle, so gilt $|y-x|\ge \frac1{3^m}$. Wir kommen nun zu den drei Abbildungen.
- Die Reißverschluss-Abbildung $a\colon C\to C\times C$ bildet eine $0-2$-Folge $(a_1,a_2,a_3,\ldots)$ ab auf die beiden $0-2$-Folgen $(a_1,a_3,a_5,\ldots)$ und $(a_2,a_4,a_6,\ldots)$, oder explizit $$\sum_{i=1}^\infty\frac{a_i}{3^i}=x\mapsto (x',x'')=\left(\sum_{i=1}^\infty\frac{a_{2i-1}}{3^i},\sum_{i=1}^\infty\frac{a_{2i}}{3^i}\right).$$ Diese Reißverschluss-Abbildung ist klar umkehrbar und insbesondere surjektiv. Um die Stetigkeit dieser Abbildung einzusehen, nehmen wir an, dass für $x=\sum_{i=1}^\infty\frac{a_i}{3^i}$ und $y=\sum_{i=1}^\infty\frac{b_i}{3^i}$ gilt $|x-y|\lt \frac1{3^{2m}}$. Dann unterscheiden sich die beiden Folgen $(a_i)$ und $(b_i)$ nicht vor der $2m+1$-ten Stelle. Damit sind die jeweils $m$ ersten Glieder der Folgen $(a_{2i-1})$ und $(b_{2i-1})$ gleich, wie auch die jeweils $m$ ersten Glieder der Folgen $(a_{2i})$ und $(b_{2i})$. Insbesondere gilt $$|x'-y'|\le \left(\frac2{3^{m+1}}+\frac2{3^{m+2}}+\frac2{3^{m+3}}+\ldots\right)=\frac1{3^{m}}\quad \text{ und ebenso } \quad |x''-y''|\le\frac1{3^{m}}.$$
- Zur Definition der Abbildung $b\colon C\to [0,1]$ ordnen wir jedem $x=\sum_{i=1}^\infty\frac{a_i}{3^i}\in C$ die eindeutig bestimmte $0-2$-Folge $(a_i)$ zu und erhalten daraus die $0-1$-Folge $(a_1/2,a_2/2,a_3/2,\ldots )$. Diese beschreibt die duadische Entwicklung der reellen Zahl $$b(x)=\sum_{i=1}^\infty\frac{a_i/2}{2^i}\in [0,1].$$ Die derart konstruierte Abbildung $b$ ist surjektiv, zumal jede $0-1$-Folge auf die beschriebene Weise Bild einer $0-2$-Folge ist. Zur Stetigkeit nehmen wir $|x-y|\lt \frac1{3^m}$ an. Die entsprechenden $0-2$-Folgen unterscheiden sich folglich nicht vor dem Index $m+1$. Daraus schließen wir $$|b(x)-b(y)|\le \left(\frac1{2^{m+1}}+\frac1{2^{m+2}}+\frac1{2^{m+3}}+\ldots\right)=\frac1{2^{m}}.$$
- Es sei $f\colon C\to [0,1]\times[0,1]$ eine stetige Abbildung. Wir erweitern sie zu einer Abbildung $F\colon [0,1]\to [0,1]\times[0,1]$, indem wir sie auf $E_m\setminus E_{m+1}$ für alle $m\in \mathbb N$ festlegen: Die Menge $E_m\setminus E_{m+1}$ besteht aus $2^m$ offenen Intervallen mit Endpunkten von der Form $$c=\sum_{i=1}^m\frac{a_i}{3^i}+\frac1{3^{m+1}}=\sum_{i=1}^m\frac{a_i}{3^i}+\sum_{i=m+2}^\infty\frac2{3^i} \quad\text{ und }\quad d=\sum_{i=1}^m\frac{a_i}{3^i}+\frac2{3^{m+1}}.$$ Wir setzen die auf den Endpunkten des Intervalls definierte Funktion $f$ linear fort: Für $x=c+t(d-c)$ mit $t\in[0,1]$ setzen wir $F(x):=f(c)+t\left(f(d)-f(c)\right)$. Zum Nachweis der Stetigkeit im Punkte $x\in [0,1]$ müssen wir mehrere Fälle unterscheiden.
- Es sei zuerst $x\notin C$. Dann liegt $x$ in einem der offenen Intervalle in $E_m\setminus E_{m+1}$ für ein $m\in \mathbb N$. Auf diesem Intervall ist $F$ linear und folglich stetig.
- Ist $x\in C$, so sei $(x_n)$ eine gegen $x$ konvergente Folge. Wir müssen zeigen, dass die Folge $\left(F(x_n)\right)$ gegen $F(x)$ konvergiert. Dazu ersetzen wir die Folge $(x_n)$ in $[0,1]$ durch eine Folge $(x_n')$ in $C$ auf folgende Weise: Ist $x_n\in C$, so setzen wir $x_n'=x_n$. Ansonsten liegt $x_n$ in einem Intervall mit Endpunkten $x'_n, x''_n\in C$. Wir wählen als $x_n'$ denjenigen Randpunkt, für den gilt $$|F(x'_n)-F(x)|\ge |F(x''_n)-F(x)|.$$ Da $F(x_n)$ auf einer Seite des von den drei Punkten $F(x), F(x_n')$ und $F(x_n'')$ aufgespannten Dreiecks liegt, gilt insbesondere $$|F(x'_n)-F(x)|\ge |F(x_n)-F(x)|.$$ Es reicht folglich zu zeigen, dass die Folge $\left(F(x_n')\right)=\left(f(x_n')\right)$ konvergiert. Wir müssen wieder zwei Fälle unterscheiden:
- Im ersten Fall liegen in jedem der Intervalle im Komplement von $C$ nur jeweils endlich viele der $x_n$. Die fraglichen Intervalle bilden dann eine Folge, in der jedes Intervall nur endlich oft vorkommt. Die Länge der Intervalle bildet dann eine Nullfolge. Damit gilt $\lim_{n\to \infty}|x_n-x_n'|=0$ und folglich konvergieren die beiden Folgen gegen denselben Grenzwert $x$. Da $f$ stetig auf $C$ ist, folgt $\lim_{n\to \infty}f(x_n)=f(x)$.
- Im zweiten Fall gibt es ein offenes Intervall $I$ im Komplement von $C$, das unendlich viele der Folgenglieder enthält. Die dadurch bestimmte Teilfolge konvergiert gegen $x\in C$. Deshalb muss $x$ einer der Randpunkte von $I$ sein. Da $F$ auf dem Abschluss von $I$ stetig ist, können die in $I$ liegenden Folgeglieder keine Unstetigkeit verursachen, wir können sie ignorieren. Die restlichen Folgeglieder sind entweder endlich oder aber unendlich und es gilt der erste Fall. Es gibt nämlich nur ein Intervall im Komplement von $C$, für das $x$ ein Randpunkt ist.
qed