4.2. Eigentliche Abbildungen

Kompaktheit kann noch auf eine andere Weise charakterisiert werden, nämlich über die Abgeschlossenheit gewisser Abbildungen.

4.2.1. Satz. Ein topologischer Raum $X$ ist genau dann kompakt, wenn die Projektionsabbildung $\pi\colon X\times Y\to Y$ für jeden topologischen Raum $Y$ abgeschlossen ist.

Beweis. Sei $X$ kompakt, $Y$ ein topologischer Raum, $M\subset X\times Y$ abgeschlossen und $y\in Y\setminus \pi(M)$. Für jedes $x\in X$ ist $(x,y)$ in der offenen Menge $X\times Y\setminus M$ enthalten. Nach Definition der Produkttopologie existieren offene Umgebungen $U_{x}$ und $V_{x}$ von $x$ und $y$ mit $U_{x}\times V_{x}\subset X\times Y\setminus M$. Wegen der Kompaktheit von $X$ gibt es $x_i$ mit $i$ aus einer endlichen Menge $I$ und $\bigcup_{i\in I}U_{x_i}\supset X$. Die offene Menge $X\times \left(\bigcap_{i\in I}V_{x_i}\right)$ liegt im Komplement von $M$. Ebenso ist $\bigcap_{i\in I}V_{x_i}\subset Y$ im Komplement von $\pi(M)$. Damit ist $\pi(M)$ abgeschlossen.
Ist $X$ nicht kompakt, so existiert eine offene Überdeckung $\mathfrak U=\{U_j\mid j\in J\}$, welche keine endliche Teilüberdeckung besitzt. Wir betrachten nun eine Teilmenge $Y$ der Potenzmenge $\mathfrak P(J)$ der Indexmenge $J$: Die Menge $Y$ bestehe aus $J$, sowie allen endlichen, nicht-leeren Teilmengen von $J$. Die Topologie auf $Y\setminus \{J\}$ sei die diskrete. Für jede endliche Teilmenge $K$ von $J$ sei $V_K:=\{K'\in Y\mid K\subset K'\subset J\}$. Eine Teilmenge von $Y$ ist genau dann eine offene Umgebung des Punktes $J\in Y$, wenn sie ein $V_K$ enthält. Es sei nun $$M=\left\{(x,K)\in X\times Y\mid x\in \bigcap_{j\in K} \left(X\setminus U_j\right)\right\}.$$ Ist $(x,K)\not\in M$, so gibt es ein $j\in K$ mit $x\in U_j$. Insbesondere besitzt der Punkt $(x,K)$ die Menge $U_j\times V_{\{j\}}\subset X\times Y$ als offene Umgebung im Komplement von $M$. Folglich ist $M$ abgeschlossen. Das Bild $\pi(M)=Y\setminus \{J\}$ von $M$ ist jedoch nicht abgeschlossen.
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4.2.2. Satz und Definition. Für eine stetige Abbildung $f\colon X\to Y$ zwischen topologischen Räumen heißt eigentlich, wenn sie eine und damit alle der folgenden äquivalenten Eigenschaften besitzt:

  1. Für jede Abbildung $g\colon Z\to Y$ ist die Pullback-Abbildung $\pi_f\colon X\times_Y Z\to Z$ abgeschlossen.
  2. Für jeden topologischen Raum $Z$ ist die Abbildung $f\times \mathrm{id}_Z\colon X\times Z\to Y\times Z$ abgeschlossen.
  3. Die Abbildung $f$ ist abgeschlossen und das Urbild $f^{-1}(K)$ jeder kompakten Teilmenge $K\subset Y$ ist kompakt.
  4. Die Abbildung $f$ ist abgeschlossen und das Urbild $f^{-1}(y)$ jedes Punktes $y\in Y$ ist kompakt.

Beweis.

  1. $\implies ii:$ Das Produkt $X\times Z$ kann kanonisch identifiziert werden mit dem Pullback $X\times_Y\left(Y\times Z\right)$ entlang der Projektionsabbildung $\pi_Y\colon Y\times Z\to Y$. Ich gebe zwei Argumente. Elementweise gilt $$X\times_Y\left(Y\times Z\right)=\left\{(x,y,z)\in X\times Y\times Z\mid f(x)=\pi_Y(y,z)=y\right\}=\left\{(x,f(x),z)\in X\times Y\times Z\right\}$$ und die Abbildung $(x,f(x),z)\mapsto (x,z)$ ist bijektiv, stetig und umkehrbar stetig. Eine mehr formale Sichtweise einnehmend, kann man auch mit der universellen Eigenschaft des Pullbacks argumentieren. Das Produkt $Y\times Z$ ist das Pullback der beiden Abbildungen $Y\to *$ und $Z\to *$ auf die einpunktige Menge $*$. Das Pullback $X\times_Y\left(Y\times Z\right)$ der beiden Abbildungen $\pi_Y\colon Y\times Z\to Z$ und der Abbildung $f\colon X\to Y$ kann auch als iteriertes Pullback der Abbildungen $Z\to *$ entlang der beiden Abbildungen $f\colon X\to Y$ und $Y\to *$ gesehen werden. Ein solches iteriertes Pullback entlang zweier hintereinander geschalteter Abbildungen ist aber kanonisch äquivalent zum Pullback entlang der Komposition von Abbildungen. Das gibt die kanonische Abbildung $$X\times_Y\left(Y\times Z\right)\to X\times Z.$$
  2. $\implies iii:$ Die Abgeschlossenheit von $f$ ist der Spezialfall, in dem $Z$ aus einem Punkt besteht. Ansonsten sei $K\subset Y$ kompakt, $Z$ beliebig. Die Abgeschlossenheit der Abbildung $f\times \mathrm{id}_Z\colon X\times Z\to Y\times Z$ impliziert die Abgeschlossenheit der eingeschränkten Abbildung $ f^{-1}(K)\times Z\to K\times Z$: Denn ist $A\subset f^{-1}(K)\times Z$ abgeschlossen, so existiert eine abgeschlossene Teilmenge $B\subset X\times Z$ mit $B\cap \left(f^{-1}(K)\times Z\right)=A$. Dann ist $$\left(f\times \mathrm{id}_Z\right)(A)=\left(f\times \mathrm{id}_Z\right) (B)\cap \left(K\times Z\right)$$ nach Voraussetzung abgeschlossen in $K\times Z$. Nach 4.2.1 folgt aus der Kompaktheit von $K$ die Abgeschlossenheit der Projektion $K\times Z\to Z$. Die Projektion $f^{-1}(K)\times Z\to Z$ ist somit als Komposition abgeschlossener Abbildungen selbst wieder abgeschlossen. Wir können also die andere Richtung von Satz 4.2.1 anwenden und erhalten die Kompaktheit von $f^{-1}(K)$.
  3. $\implies iv:$ Hier ist nichts zu zeigen.
  4. $\implies i:$ Es sei $g\colon Z\to Y$ stetig, $\pi_f\colon X\times_Y Z\to Z$ die induzierte Pullback-Abbildung, $A\subset X\times_YZ$ abgeschlossen und $z\in Z\setminus \pi_f(A)$. Ist $z\in Z\setminus \mathrm{Im}\left(\pi_f\right)$, so reicht es zu zeigen, dass $\mathrm{Im}\left(\pi_f\right)$ in $ Z$ abgeschlossen ist. Dies ist wegen $$\mathrm{Im}\left(\pi_f\right)=\left\{z\mid g(z)\in f(X)\right\}=g^{-1}\left(f(X)\right)$$ klar, da $f(X)\subset Y$ nach Voraussetzung abgeschlossen ist und $g$ stetig. Ist $z\in \mathrm{Im}\left(\pi_f\right)$, so is $$\pi_f^{-1}(z)=f^{-1}\left(g(z)\right)\times \{z\}$$ nach Voraussetzung kompakt. Da $A$ abgeschlossen in $ X\times_YZ$ ist, existiert eine abgeschlossene Menge $B\subset X\times Z$ mit $A=B\cap X\times_YZ$. Die Menge $\pi_f^{-1}(z)\subset X\times_YZ$ ist disjunkt zu $A$ und folglich auch disjunkt zur abgeschlossenen Teilmenge $B$ von $X\times Z$. Folglich existieren zu jedem Punkt $(x,z)\in \pi_f^{-1}(z)$ offene Umgebungen $U_x\subset X$ von $x$ und $W_x\subset Z$ von $z$, so dass $U_x\times W_x$ disjunkt zu $B$ ist. Wegen der Kompaktheit von $\pi_f^{-1}(z)$ gibt es eine endliche Teilmenge $J\subset X$ mit $$\pi_f^{-1}(z) \subset \bigcup_{x\in J}U_{x}=:U.$$ Bezeichnet $W$ die offene Teilmenge $\bigcap_{x\in J}W_x$ von $Z$, so ist nach Konstruktion $U\times W$ eine offene, zu $B$ disjunkte Teilmenge von $X\times Z$. Da $f$ abgeschlossen ist, ist $$ g^{-1}\left(Y\setminus f(X\setminus U)\right)\cap W\subset Z$$ offen, enthält $z$ und liegt nach Konstruktion im Komplement von $\pi_f(A)$.

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4.2.3. Korollar. Kompositionen eigentlicher Abbildungen sind eigentlich.

Beweis. Kompositionen abgeschlossener Abbildungen sind abgeschlossen und Urbilder von Kompakta unter eigentlichen Abbildungen sind kompakt.
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4.2.4. Korollar. Sind $f\colon X\to Y$ und $f'\colon X'\to Y'$ jeweils eigentlich, so auch die Produktabbildung $$f\times f'\colon X\times X'\to Y\times Y'.$$

Beweis. Mit $f$ und $f'$ sind auch $f\times \mathrm{id}_{X'}$ und $\mathrm{id}_Y\times f'$ eigentlich, folglich auch deren Komposition $$f\times f'=\left(\mathrm{id}_Y\times f'\right)\circ \left(f\times \mathrm{id}_{X'}\right).$$ qed

4.2.5. Korollar. Produkte $X\times Y$ kompakter Räume $X$ und $Y$ sind kompakt.

Beweis. Ein Raum $X$ ist genau dann kompakt, wenn die Abbildung $X\to *$ auf einen einpunktigen Raum eigentlich ist. Die Aussage folgt damit aus 4.2.4.
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Zuletzt erhalten wir unsere aus der Analysis bereits bekannte Charakterisierung kompakter Teilmengen des euklidischen Raumes $\mathbb R^n$.

4.2.6. Satz von Heine-Borel. Eine Teilmenge des $\mathbb R^n$ ist genau dann kompakt, wenn sie beschränkt und abgeschlossen ist.

Beweis. Das Produkt $[0,1]^n$ des kompakten Einheitsintervalls ist kompakt. Jeder Würfel $[-R,R]^n$ beschränkter Kantenlänge ist dazu homöomorph und damit ebenfalls kompakt. Eine beschränkte Teilmenge des $\mathbb R^n$ ist einem solchen Würfel enthalten und, falls abgeschlossen, auch kompakt.
Umgekehrt ist eine kompakte Teilmenge $K$ im Hausdorffschen Raum $ \mathbb R^n$ nach 4.1.5 abgeschlossen. Wir betrachten die offene Überdeckung $\mathfrak U:= \{U_\varepsilon(0)\mid \varepsilon\gt 0\}$ von $K$ durch $\varepsilon$-Umgebungen der Null. Die Menge $K$ ist beschränkt durch das maximale, in einer endlichen Teilüberdeckung auftretende $\varepsilon\gt 0$.
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