Definition. Eine Metrik auf einer Menge $M$ ist eine Abbildung $$d\colon M\times M\to \mathbb R,$$ welche für Elemente $m, m', m''$ folgenden Bedingungen genügt: Das Paar $(M,d)$ wird metrischer Raum genannt.
Man beachte, dass wegen $$0=d(m,m)\le d(m,m')+d(m',m) = 2 d(m,m')$$ immer gilt $d(m,m')\ge 0$.
Ein wesentlicher Grund, Metriken zu betrachten, liegt darin, dass sich der Begriff Stetigkeit problemlos auf Abbildungen zwischen metrischen Räumen übertragen lässt:
Definition. Eine Abbildung $f:(M,d)\to (M',d')$ zwischen metrischen Räumen heißt stetig in $m_0\in M$, wenn es zu jedem $\varepsilon \gt 0$ ein $\delta \gt 0$ existiert, so dass für alle $m\; \in M$ gilt: Ist $d(m,m_0)\lt \delta$, so gilt $d'(f(m),f(m_0))\lt \varepsilon$. Die Abbildung heißt stetig, wenn sie in jedem Punkt von $M$ stetig ist.
Beispiele metrischer Räume 5.1.1.
- Im euklidischen Raum $\mathbb R^n$ definieren wir den euklidischen Abstand zwischen zwei Punkten $x=(x_1,\ldots,x_n)$ und $y=(y_1,\ldots,y_n)$ dem Satz des Pythagoras entsprechend durch die Formel $$d_{euklid}(x,y)=\sqrt{\sum\limits^n_{i=n}(x_i-y_i)^2}.$$ Die Distanz im euklidischen Raum ist im folgenden Sinne mit der Vektorraumstruktur auf $\mathbb R^n$ verträglich: Sie ist translationsinvariant $d_{euklid}(x+z,y+z)=d_{euklid}(x,y)$ und bei einer zentrischen Streckung skaliert sie sich mit dem Streckungsfaktor: $d_{euklid}(\lambda\, x, \lambda\, y)= \lambda\, d_{euklid}(x,y)$.
- Ist $(M,d)$ ein metrischer Raum, und $N\subset M$ eine Teilmenge, so ist $(N,d_N)$, mit der auf $N\times N\subset M\times M$ eingeschränkten Distanzfunktion $d_N$ ein metrischer Raum.
- Die französische Eisenbahnmetrik $d_{\mathcal {SNCF}}$ auf $\mathbb R^n$ ist auf folgende Weise definiert: Geht die Verbindungsgerade zwischen den Punkten $x,y\in \mathbb R^n$ durch den Ursprung, so ist $$d_{\mathcal {SNCF}}(x,y)=d_{euklid}(x,y)$$ und ansonsten $$ d_{\mathcal {SNCF}}(x,y)=d_{euklid}(x,0) + d_{euklid}(0,y).$$
- Ist $M$ eine beliebige Menge, so ist durch $$\delta(m,m'):= \begin{cases}0&\text{falls } m=m'\\1& \text{sonst.}\end{cases}$$ eine Metrik auf $M$ definiert. Diese hat eine etwas seltsame Eigenschaft: Jede Abbildung $f\colon (M,\delta)\to (M',d')$ in einen metrischen Raum ist stetig. Diese Metrik ist also ziemlich nutzlos.
- Auf der Menge $\mathcal C^0([a,b])$ stetiger, reellwertiger Funktionen auf dem Intervall $[a,b]$ betrachten wir die $\mathcal C^0$-Metrik $$d_{\mathcal C^0}(f,g):=\max_{x\in[a,b]}\left|f(x)-g(x)\right|.$$ Hier benutzen wir, dass stetige Funktionen, wie zum Beispiel $|f-g|$, auf einem kompakten Intervall ihr Supremum annehmen.
- Allgemeiner ist für $k\in \mathbb N$ die $\mathcal C^k$-Metrik auf der Menge $\mathcal C^k([a,b])$ der $k$-mal stetig differenzierbaren Funktionen definiert durch $$d_{\mathcal C^k}(f,g):=\sum_{\kappa =0}^kd_{\mathcal C^0}\left(f^{(\kappa)},g^{(\kappa)}\right).$$ Die Inklusionen $\mathcal C^k([a,b])\hookrightarrow \mathcal C^{k-1}([a,b])$ sind stetig. Ebenso induzieren die Ableitungen $f\mapsto f'$ stetige Abbildungen $D\colon\mathcal C^k([a,b])\to \mathcal C^{k-1}([a,b])$.
- Auf der Menge $\mathcal C^\infty([a,b])$ der unendlich oft differenzierbaren Funktionen lässt sich auch eine Metrik definieren. Dazu wendet man die folgende Aussage an auf die soeben definierten $\mathcal C^k$-Metriken.
Lemma 5.1.2. Es sei $M$ eine Menge und für $k\in \mathbb N$ seien $d_k$ jeweils Metriken auf $M$. Dann definiert die Vorschrift $$d(m,m'):=\sum_{k=1}^\infty \frac1{2^k}\frac{d_k(m,m')}{1+d_k(m,m')}$$ eine Metrik auf $M$.
Beweis. Übung.
Definition. Sei $(M,d)$ ein metrischer Raum. Eine Folge $(x_\nu)_{\nu\in \mathbb N}$ in $M$ heißt konvergent gegen $m\in M$, wenn es zu jedem $\varepsilon \gt 0$ ein $N\in\mathbb N$ gibt mit $d(x_\nu, m)\lt \varepsilon $ für alle $\nu \ge N$.
Satz 5.1.3. Eine Abbildung $f: (M,d)\to (M',d')$ zwischen metrischen Räumen ist genau dann stetig in $m\in
M$, wenn gilt: Für jede gegen $m$ konvergierende Folge $(x_\nu)_{\nu\in\mathbb N}$ in $M$ konvergiert die Bildfolge $(f(x_\nu))$ in $M'$ gegen $f(m)$. Man sagt kurz: In metrischen Räumen sind Stetigkeit und Folgenstetigkeit äquivalent.
Beweis. Völlig analog wie im vergangenen Semester argumentieren wir:
- Sei $f$ stetig in $m\in M$ und $(x_\nu)$ konvergiere gegen $m$. Es sei $\varepsilon \gt 0$ eine Toleranzgrenze. Dann gibt es ein $\delta \gt 0$, so dass für alle $m'\in M$ mit $d(m,m')\lt \delta$ gilt $d'(f(m'),f(m))\lt \varepsilon$. Da die Folge $(x_\nu)$ konvergiert, existiert ein $N\in \mathbb N$ mit $d(x_\nu,m)\lt \delta$ für $\nu\gt N$. Folglich gilt $d'(f(x_\nu),f(m))\lt \varepsilon$ für alle $\nu\ge N$. Also konvergiert die Folge $(f(x_\nu))$ gegen $f(m)$.
- Ist $f$ nicht stetig in $m$, dann existiert ein $\varepsilon \gt 0$ derart, dass zu jedem $\delta \gt 0$ ein $x$ gefunden werden kann mit $d(x,m)\lt \delta$ und $d'(f(x),
f(m))\ge\varepsilon$. Wir konstruieren eine Folge $(x_\nu)$, indem wir zu $\delta=\frac{1}{\nu}$ ein solches $x_\nu$ wählen. Die Folge $(x_\nu)$ konvergiert dann gegen $m$, die Folge $(f(x_\nu))$ aber nicht gegen $f(m)$.
qed
Definition. Sei $M$ ein metrischer Raum und $m\in M$. Eine Teilmenge $U\subseteq M$ heißt Umgebung von $m$, wenn es ein $\varepsilon \gt 0$ gibt, so dass die $\varepsilon$-Umgebung $$U_\varepsilon(m)=\{x\in M\;|\; d(x,m)\lt \varepsilon\}$$ von $m$ noch ganz in $U$ enthalten ist. Eine Teilmenge $O \subset M$ heißt offen, falls sie Umgebung jedes ihrer Elemente ist.
Proposition 5.1.4. Die offenen Mengen eines metrischen Raumes erfüllen folgende Eigenschaften:
O_i$ offen.
Beweis.
- Ist klar.
- Ist $x\in O_1\cap O_2$, so existieren $\varepsilon_1 \gt 0$ und $\varepsilon_2>0$ mit $U_{\varepsilon_1}(x)\subseteq O_1$ und $U_{\varepsilon_2}(x)\subseteq O_2$. Mit $\varepsilon=\min (\varepsilon_1,\varepsilon_2)$ folgt dann: $U_\varepsilon(x)\subseteq U_{\varepsilon_1}(x)\cap U_{\varepsilon_2}(x)\subseteq O_1\cap O_2$.
- Ist $x\in\bigcup\limits_{i\in I} O_i$, so gibt es ein $i_0$ mit $x\in O_{i_0}$ und ein $\varepsilon\gt 0$ mit $U_\varepsilon (x) \subseteq O_{i_0} \subseteq\bigcup\limits_{i\in I} O_i$.
qed
Proposition 5.1.5. Die $\varepsilon$-Umgebung $U_\varepsilon(m)=\{x\in
M\;|\;d(x,m)\lt \varepsilon\}$ eines Punktes $m$ in einem metrischen Raum $(M,d)$ ist offen.
Beweis. Sei $x\in U_\varepsilon(m)$, so ist $\varepsilon'=\varepsilon-d(x,m)\gt 0$ eine positive reelle Zahl. Die $\varepsilon'$-Umgebung $U_{\varepsilon'}(x)$ von $x$ ist ganz in $U_\varepsilon(m)$ enthalten, denn ist $y\in U_{\varepsilon'}(x)$, so folgt aus der Dreiecksungleichung
$$
d(y,m) \le d(y,x)+d(x,m)\lt \varepsilon'+d(x,m)=\varepsilon.
$$ qed
Mit Hilfe der Begriffe Umgebung und offene Menge erhalten wir eine alternative Beschreibung der Stetigkeit.
Proposition 5.1.5. Es sei $f:(M,d)\to(M',d')$ eine Abbildung zwischen metrischen Räumen.
Beweis.
- Die Abbildung $f$ sei stetig in $m\in M$ und $U'\subseteq M'$ sei eine Umgebung von $f(m)$. Nach Definition existiert ein $\varepsilon\gt 0$, so dass $U_\varepsilon(f(m))$ ganz in $U'$ enthalten ist. Zu $\varepsilon$ existiert wegen der Stetigkeit von $f$ ein $\delta\gt 0$ mit $f(U_\delta(m))\subseteq U_\varepsilon(f(m))$. Folglich gilt:
$$
U_\delta(m)\subseteq f^{-1}(U_\varepsilon(f(m))\subseteq
f^{-1}(U').
$$ Damit ist $f^{-1}(U')$ eine Umgebung von $m$.Seien nun umgekehrt Urbilder von Umgebungen von $f(m)$ unter $f$ stets Umgebungen von $m$. Wir geben uns eine Toleranzgrenze $\varepsilon\gt 0$ vor. Die Menge $U_\varepsilon (f(m))$ ist eine Umgebung von $f(m)$, das Urbild $f^{-1}(U_\varepsilon (f(m)))$ nach Annahme eine Umgebung von $m$. Insbesondere existiert ein $\delta\gt 0$, so dass die $\delta$-Umgebung $U_\delta(m)$ ganz in $f^{-1}(U_\varepsilon(f(m)))$ enthalten ist. Folglich gilt $f(U_\delta(m))\subseteq U_\varepsilon(f(m))$ und $f$ hat den Stetigkeitstest in $m$ bestanden.
- Die Abbildung $f$ sei stetig und $O\subset M'$ sei offen. Wir müssen zeigen: $f^{-1}(O)$ ist offen. Sei dazu $m\in f^{-1}(O)$. Als offene Menge ist $O$ Umgebung von $f(m)$. Nach dem bereits Bewiesenem ist also $f^{-1}(O)$ Umgebung von $m$. Somit ist die Menge $f^{-1}(O)$ Umgebung jedes ihrer Elemente, also offen.
Seien umgekehr Urbilder offener Mengen unter $f$ stets offen. Wir müssen zeigen: $f$ ist in jedem Punkt $m\in M$ stetig. Sei $U'\subset M'$ Umgebung von $f(m)$. Es gibt also eine $\varepsilon$-Umgebung $U_\varepsilon(f(m))$, die ganz in $U'$ enthalten ist. Nun benutzen wir, dass $U_\varepsilon(f(m))$ offen in $M'$ ist. Wir können also unsere Voraussetzung anwenden: $f^{-1}(U_\varepsilon(f(m)))$ ist offen in $M$, also Umgebung von $m$. Insbesondere ist auch
$$
f^{-1}(U') \supseteq f^{-1}(U_\varepsilon(f(m)))
$$ Umgebung von $m$. Nach dem bereits Bewiesenem ist $f$ stetig in $m$.
qed