8.1 Krümmung von Kurven

Die räumliche Kurve $C$ werde lokal im Punkte $x=(x_0,y_0)\in T_xC\times N_xC=\mathbb R^3$ als Graph einer Funktion $g\colon U\to V$ für offene Umgebungen $U$ und $V$ von $x_0$ in $T_xC$ und $y_0$ in $N_xC$ beschrieben.

8.1.1. Definition. Die Krümmung $k(x)$ der Kurve $C$ im Punkte $x$ ist die Norm $k(x):=\|\ddot{g}(x_0)\|$ der zweiten Ableitung $$\ddot{g}(x_0):=\frac{d^2g}{dt^2}(x_0)$$ der Funktion $g$ im vorgegebenen Punkt.

Identifizieren wir Tangentialraum und Normalraum mit $\mathbb R$ und $\mathbb R^2$, so ist Taylorentwicklung von $g$ von der Form: $$g(x_0+t)=y_0+\ddot{g}(x_0)\cdot \frac{t^2}2 + O(t^3).$$ Hier bezeichnet $O\left(\varphi\right)$ eine nicht näher spezifizierte Funktion $f$, die asymptotisch in der Ordnung der bezeichneten Funktion $\varphi$ beschränkt ist. Formal bedeutet dies, es gilt $$\limsup_{t\to0}\left|\frac{f\left(t\right)}{\varphi\left(t\right)}\right|\lt\infty.$$ Diese Notation wurde von Landau popularisiert, genauso wie die Notation $o(\varphi)$, die für eine Funktion $f$ steht, welche asymptotisch gegen $\varphi$ vernachlässigbar ist, oder formal $$\lim_{t\to0}\left|\frac{f\left(t\right)}{\varphi\left(t\right)}\right|=0.$$

8.1.2. Bemerkung. Ist $\ddot{g}(x_0)\not=0$, so spannt dieser Vektor, zusammen mit dem Tangentialraum $T_xC$ eine Ebene $E_x\subset
\mathbb R^3$ auf. Die Krümmung beschreibt den Kehrwert des Radius desjenigen in dieser Ebene liegenden, die Kurve $C$ am besten approximierenden Kreises.
Zum Nachweis dieser Behauptung bezeichne $v$ den Einheitsvektor $$v:=\frac{\ddot{g}(x_0)}{\|\ddot{g}(x_0)\|}\in N_xC.$$ Der Mittelpunkt eines Kreises vom Radius $r$ in der Ebene $E_x$, der durch $x$ geht und dort die gleiche Tangente wie $C$ besitzt, ist von der Form $x+rv$. Der den Nullpunkt enthaltende Halbkreis kann selbst als Graph $\Gamma_{h}$ beschrieben werden mittels der für $|t|\lt r$ definierten Funktion $$h:\left(x_0-r,x_0+r\right)\to N_xC,\;\;x_0+t\mapsto y_0+\left({r-\sqrt{r^{2}-t^{2}}}\right)v.$$ Aus der Taylorentwicklung der Funktion $h$ um $x_0$ $$ h\left(x_0+t\right)
=y_0+\frac{v}{r}\cdot\frac{t^{2}}{2}+O\left(t^{3}\right)$$ erhalten wir die Gleichung $k(x)v=\frac{v}{r}$ und damit die Behauptung.

Die Beschreibung der Krümmung einer Kurve $C$ benutzt den umgebenden Raum. Die Krümmung beschreibt, in welcher Weise die Kurve in den umgebenden Raum eingebettet ist, keine intrinsische geometrische Eigenschaft der Kurve. Die einzige intrinsisch geometrische Eigenschaft einer Kurve ist die Bogenlänge, die wir jetzt kurz definieren wollen.

8.1.3. Definition. Es sei $I\subset\mathbb{R}$ ein offenes Intervall. Eine parametrisierte Kurve im $\mathbb{R}^{N}$ ist eine glatte Abbildung $c:I\to\mathbb{R}^{N}$. Die Parametrisierung heißt regulär, falls die Ableitung $\dot{c}(t)$ nirgends verschwindet.

Das Bild einer regulären Kurve ist nicht notwendigerweise eine Untermannigfaltigkeit. Zum Beispiel kann es Selbstschnitte geben. Andererseits kann jede reguläre Kurve, wie oben bemerkt, lokal parametrisiert werden. Parametrisierungen sind jedoch nicht eindeutig. Wir wollen dieses Phänomen näher betrachten.

Es seien $I,J\subset\mathbb{R}$ offene Intervalle und $\varphi:J\to I$ ein Diffeomorphismus. Insbesondere gilt also, dass die Ableitung $\dot{\varphi}\left(t\right)$ nirgends verschwindet. Ist $c:I\to\mathbb{R}^{N}$ eine reguläre parametrisierte Kurve, so nennt man die Kurve $\tilde{c}=c\circ\varphi:J\to\mathbb{R}^{N}$ eine Umparametrisierung von $c$. Die Kettenregel $$\dot{\tilde{c}}\left(t\right)=\dot{c}\left(\varphi\left(t\right)\right)\dot{\varphi}\left(t\right)$$ zeigt, dass eine Umparametrisierung einer regulären Kurve wieder regulär ist.

8.1.4. Definition. Eine Kurve $c:I\to\mathbb{R}^{N}$ heißt nach Bogenlänge parametrisiert, wenn gilt $\|\dot{c}\left(t\right)\|=1$ für alle $t\in I$.

8.1.4. Satz. Jede regulär parametrisierte Kurve lässt sich nach Bogenlänge umparametrisieren.

Beweis. Zu einer regulär parametrisierten Kurve $c:I\to\mathbb{R}^{N}$ sei ein Punkt $t_{0}\in I$ gewählt. Die Ableitung der Funktion $$\psi:I\to\mathbb{R};\;\;\psi\left(s\right)=\int_{t_{0}}^{s}\|\dot{c}\left(t\right)\|dt$$ ist wegen der Regularitätsbedingung an jeder Stelle positiv: $$\dot{\psi}\left(s\right)=\|\dot{c}\left(s\right)\|\gt 0.$$ Folglich ist die Funktion $\psi$ eine streng monoton steigende Funktion, die das Intervall $I$ bijektiv auf ein Intervall $J$ abbildet. Die Umkehrfunktion $\varphi=\psi^{-1}:J\to I$ ist ebenso glatt wie $\psi$. Nach der Kettenregel folgt $$\|\dot{\tilde{c}}\left(t\right)\|=\|\dot{c}\left(\varphi\left(t\right)\right)\|\cdot\dot{\varphi}\left(t\right)=\|\dot{c}\left(\varphi\left(t\right)\right)\|\cdot\frac{1}{\dot{\psi}\left(\varphi\left(t\right)\right)}=1. $$qed

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