1.1. Untergruppen der Einheitengruppe

Es bezeichne \(Cl^\times(V,q)\subset Cl(V,q)\) die multiplikative Einheitengruppe. Wegen \(v^{-1}=-\frac1{q(v)}v\) ist offenbar \(\{v\in V\mid q(v)\not=0\}\subset Cl^\times(V,q)\).

1.1.1. Bemerkung. Ist \(V\) ein endlich dimensionaler Vektorraum über \(\mathbb K\in \{\mathbb R,\mathbb C\}\), so ist die Einheitengruppe eine Liegruppe der Dimension \(2^{\mathrm{dim}V}\) mit Lie-Algebra \(Cl(V,q)\), versehen mit der Lie-Klammer \([\phi,\psi]=\phi\psi-\psi\phi\) und Exponentialabbildung \[
\mathrm{exp}\colon Cl(V,q)\to Cl^\times(V,q),\quad \phi\mapsto \sum_{n=0}^\infty\frac1{n!}\phi^n.
\]

1.1.2. Adjunktion.

  • Konjugation liefert die Adjunktionsabbildung \[
    Ad\colon Cl^\times(V,q)\to \mathrm{Aut}\left(Cl(V,q)\right),\quad Ad_\phi(x)=\phi x\phi^{-1}.
    \] Diese ist offensichtlich ein Gruppenhomomorphismus \(Ad_{\phi\psi}=Ad_\phi\circ Ad_\psi\) in die Gruppe der Algebren-Automorphismen der Clifford-Algebra.
  • Die getwistete Adjunktionsabbildung \[
    \widetilde{Ad}\colon Cl^\times(V,q)\to \mathrm{Aut}_K\left(Cl(V,q)\right),\quad \widetilde{Ad}_\phi(x)=\alpha\left(\phi\right) x\phi^{-1}.
    \] ist ebenfalls ein Gruppenhomomorphismus in die Gruppe der Vektorraum-Automorphismen, da \(\alpha\) die Algebrenstruktur respektiert.

Mit der Notation \(\widetilde{b}(v,w)=q(v+w)-q(v)-q(w)\) erhalten wir den

1.1.3. Satz. Für \(v,w\in V\) mit \(q(v)\not=0\) gilt \[\widetilde{Ad}_v(w)=-Ad_v(w)=w-\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)}v.\] Insbesondere gilt \(Ad_v(V)=V\) und \(\widetilde{Ad}_v^2(w)=w\), sowie \(q\left(\widetilde{Ad}_v(w)\right)=q(w)\).

Im Falle \(\mathrm{char}(K)\not=2\) lautet mit \(b(v,w)=\frac12\left(q(v+w)-q(v)-q(w)\right)\) die Formel auf der rechten Seite \(w-2\frac{b(v,w)}{q(v)}v\) und beschreibt geometrisch die Spiegelung an der Hyperebene \(v^\perp=\{u\in V\mid b(v,u)=0\}\). Die letzte Aussage im Satz besagt, dass diese Spiegelung, wie erwartet, die quadratische Form \(q\) erhält.

Beweis. Aus der Gleichung \[vw+wv=(v+w)^2-v^2-w^2=-q(v+w)+q(v)+q(w)=-\widetilde{b}(v,w)\] folgt mit Hilfe der Identität \(v^{-1}=-\frac1{q(v)}v\) die behauptete Formel \[\begin{aligned}-q(v)Ad_v(w)&=-q(v)vwv^{-1}=vwv=-v^2w-\widetilde{b}(v,w)v\\
&=q(v)w-\widetilde{b}(v,w)v.\end{aligned}
\] Daraus erhalten wir \[\begin{aligned}\widetilde{Ad}_v^2(w)&=\widetilde{Ad}_v\left(w-\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)}v\right)\\
&=\widetilde{Ad}_v(w)-\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)}\widetilde{Ad}_v(v)\\
&=w-\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)}v-\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)}\alpha(v)=w.\end{aligned}\]
Zur Orthogonalität betrachten wir die Differenz \[\begin{aligned} q\left(\widetilde{Ad}_v(w)\right)-q(w)
&= q\left(w-\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)}v\right) -q(w)\\
&= q\left(-\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)}v\right) + \widetilde{b}\left(w,-\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)}v\right)\\
&= \left(\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)}\right)^2q(v) -\frac{\widetilde{b}(v,w)}{q(v)} \widetilde{b}\left(w,v\right) =0.\end{aligned}\]qed

1.1.4. Definition. Es sei \(\mathrm{char}(K)\not=2\). Die Einheitengruppe \(Cl^\times(V,q)\) enthält folgende Untergruppen:

  • \(\widetilde{P}(V,q):= \{\phi\in Cl^\times(V,q)\mid \widetilde{Ad}_\phi(V)=V\}\)
  • Die von Elementen \(v\in V\) mit \(q(v)\not=0\) erzeugte Untergruppe \(P(V,q)\subset Cl^\times(V,q) \).
  • Die von Elementen \(v\in V\) mit \(q(v)=\pm1\) erzeugte Untergruppe \(Pin(V,q)\subset Cl^\times(V,q) \).
  • \(Spin(V,q):=Pin(V,q)\cap Cl^0(V,q)\).

Aus Satz (1.1.3) folgt die letzte Inklusion in der Kette von Inklusionen \[Spin(V,q)\subset Pin(V,q)\subset P(V,q)\subset \widetilde{P}(V,q).\]

1.1.5. Definition. Die Normabbildung \(N\colon Cl(V,q)\to Cl(V,q)\) ist definiert durch die Formel \[N(\phi)=\phi\cdot \alpha(\phi^t).\]

Eine quadratische Form \(q\) auf einem endlich dimensionalen Vektorraum heißt nicht ausgeartet, wenn die zugehörige Bilinearform einen Isomorphismus \[V\to V^*,\quad v\mapsto b(v,.)\] beschreibt. Äquivalent wird die bilineare Abbildung bezüglich einer und damit jeder Basis durch eine invertierbare Matrix beschrieben.

1.1.6. Satz. Es sei \(\mathrm{char}(K)\not=2\), \(\mathrm{dim}V\lt \infty\) und \(q\) nicht ausgeartet.

  1. Der Homomorphismus \(\widetilde{Ad}\colon P(V,q)\to O(V,q)\) ist surjektiv.
  2. Der Kern von \(\widetilde{Ad}\colon \widetilde{P}(V,q)\to Gl(V)\) ist die Einheitengruppe \(K^\times\subset K =K\cdot 1\subset Cl(V,q)\).
  3. Die Norm beschreibt einen Gruppenhomomorphismus \(N\colon \widetilde{P}(V,q)\to K^\times\) in die multiplikative Gruppe \(K^\times\).
  4. Die Adjunktion \(\widetilde{Ad}_\phi\colon V\to V\) erhält für \(\phi\in \widetilde{P}(V,q)\) die quadratische Form, d.h. sie beschreibt tatsächlich einen Homomorphismus \(\widetilde{Ad}\colon \widetilde{P}(V,q)\to O(V,q)\).

Der Beweis der ersten Aussage im Satz beruht auf einem Satz von Cartan-Dieudonné, den ich hier nur zitiere:

1.1.7. Satz. Es sei \(\mathrm{char}(K)\not=2\), \(\mathrm{dim}V\lt \infty\) und \(q\) nicht ausgeartet. Jedes Element in \(O(V,q)\) ist Produkt von höchstens \(\mathrm{dim}(V)\) vielen Spiegelungen an Hyperebenen \(v^\perp\) mit \(q(v)\not=0\).

Beweis von 1.1.6.

  1. Nach Definition ist jedes Element \(\phi\in P(V,q)\) ein endliches Produkt \(\phi=v_1\cdot \ldots\cdot v_n\) mit \(v_i\in V\) und \(q(v_i)\not=0\). Die Adjunktionsabbildung \(\widetilde{Ad}\) bildet nach (1.1.3) jedes Element \(v_i\) auf die Spiegelung an der Hyperebene \(v_i^\perp\) ab. Die Surjektivität folgt nun aus (1.1.7).
  2. Es sei \(v_1,\ldots, v_n\) eine orthogonale Basis von \((V,q)\). Diese existiert nach den Übungen. Für diese Basiselemente gilt insbesondere die Gleichung \(v_iv_j=-v_jv_i\) für \(i\not=j\). Für eine multiplikative Einheit \(\phi\in \ker\left(\widetilde{Ad}\right)\) gilt \(\alpha(\phi)\cdot w=w\cdot \phi\) für alle \(w\in V\). Zerlegt man \(\phi=\phi_0+\phi_1\) in gerade und ungerade Bestandteile, so erhält diese Gleichung die Form \(\phi_0w-\phi_1w=w\phi_0+w\phi_1\). Nach Parität aufgespalten erhalten wir für alle \(w\in V\) das Gleichungssystem: \[\begin{align} \phi_0w&=w\phi_0\\ -\phi_1w&=w\phi_1.\end{align}\] Die Elemente \(\phi_0\) und \(\phi_1\) lassen sich darstellen als Polynome in den nicht-kommutierenden Variablen \(v_i\). Wegen der Identitäten \(v_i\cdot v_i=-q(v_i)\) und \(v_i\cdot v_j=-v_j\cdot v_i\) für \(i\not=j\) kann ein solches Polynom in gekürzter Form dargestellt werden, in der jedes Basiselement \(v_i\) in jedem Monom höchstens einmal als Faktor auftaucht und in der die Indizes der in einem Monom auftauchenden Basiselemente der Größe nach geordnet sind. Es sei \(k\) der kleinste Index in der gekürzten Darstellung von \(\phi_0\) auftauchender Index. Dann gilt \(\phi_0=v_k\psi_1 + \psi_0\), wo \(\psi_0\) und \(\psi_1\) gerade und ungerade Elemente der Clifford-Algebra sind, die dargestellt werden als Polynome in den Variablen \(v_i\) mit \(i\gt k\). Damit gilt \[ \begin{align} \phi_0 v_k &= v_k\psi_1 v_k +\psi_0 v_k=(-1)^{|\psi_1|}v_kv_k\psi_1 + (-1)^{|\psi_0|}v_k\psi_0=q(v_k)\psi_1+v_k\psi_0\\ v_k \phi_0 &=v_k v_k\psi_1 +v_k\psi_0 =-q(v_k)\psi_1+v_k\psi_0.\end{align}\] Setzen wir in der ersten Gleichung im obigen Gleichungssystem \(w=v_k\) ein, so folgt \(\psi_1=0\). Somit taucht in der gekürzten Darstellung von \(\phi\) keines der Basiselemente \(v_k\) auf und \(\phi_0\in K\).
    Analog liefert ein minimaler, in der gekürzten Darstellung von \(\phi_1\) auftauchender Index \(k\) eine Zerlegung \(\phi_1=v_k\rho_0+\rho_1\) und es gilt \[ \begin{align} \phi_1 v_k &= v_k\rho_0 v_k +\rho_1 v_k=
    -q(v_k)\rho_0-v_k\rho_1\\ v_k \phi_1 &=-q(v_k)\rho_0+v_k\rho_1.\end{align}\] Setzen wir in der zweiten Gleichung im obigen Gleichungssystem \(w=v_k\) ein, so folgt \(\rho_0=0\) und wegen der Minimalität des Index \(k\) auch \(\phi_1=0\).
  3. Die Transposition wirkt als identische Abbildung auf dem Bild \(\widetilde{Ad}_\phi(V)=V\) für \(\phi \in \widetilde{P}(V,q)\). Aus der Gleichung \[\begin{aligned}
    \widetilde{Ad}_\phi(v)=\alpha(\phi)v\phi^{-1}=\left(\alpha(\phi)v\phi^{-1}\right)^t&=\left(\phi^{-1}\right)^t \cdot v^t\cdot \left(\alpha(\phi)\right)^t \\
    &=\alpha\left(\alpha(\phi^t)^{-1}\right)\cdot v \cdot \left(\alpha(\phi^t)^{-1}\right)^{-1}=\widetilde{Ad}_{\alpha(\phi^t)^{-1}}(v)\end{aligned}
    \] folgt zum Einen \(\alpha(\phi^t)^{-1}\in \widetilde{P}(V,q)\), aber auch \(N(\phi)=\phi\cdot \alpha(\phi^t)\in \ker\left(\widetilde{Ad}\right)=K^{\times}.\) Da das Bild der Norm im Zentrum der Clifford-Algebra liegt, folgt die Multiplikativität der Normabbildung: Sind \(\phi,\psi\in \widetilde{P}(V,q)\), so gilt \[N(\phi\psi)=(\phi\psi)\alpha(\phi\psi)^t=\phi\left(\psi\alpha(\psi)^t\right)\alpha(\phi)^t=\phi\cdot N(\psi)\cdot \alpha(\phi)^t=\phi\alpha(\phi)^t\cdot N(\psi)=N(\phi)N(\psi).\]
  4. Für \(v\in V\) und \(\phi\in\widetilde{P}(V,q)\) gilt \(N(v)=q(v)\) und folglich die Gleichungskette \[\begin{aligned}
    q\left(\widetilde{Ad}_\phi(v)\right)=N\left(\widetilde{Ad}_\phi(v)\right)&= \widetilde{Ad}_\phi(v) \cdot \alpha\left(\widetilde{Ad}_\phi(v)\right)^t=\left(\alpha(\phi)v\phi^{-1}\right)\cdot\alpha\left(\alpha(\phi)v\phi^{-1} \right)^t\\
    &=\alpha(\phi)v\cdot \phi^{-1} \alpha(\phi^{-1})^t\cdot \alpha(v)^t\cdot \phi^t= \alpha(\phi)v\cdot N\left(\phi^{-1}\right)\cdot\alpha(v)\cdot \phi^t\\
    &=N\left(\phi^{-1}\right)\cdot \alpha(\phi)\cdot v\alpha(v)\cdot \phi^t=N\left(\phi^{-1}\right)q(v) \cdot \alpha\left(\phi\alpha(\phi^t)\right)\\
    &= q(v)N\left(\phi^{-1}\right)\alpha\left(N(\phi)\right)=q(v)N\left(\phi^{-1}\right)N\left(\phi\right)=q(v).
    \end{aligned}\]

qed

Insgesamt lassen sich die Gruppen in einem Diagram darstellen:\[\begin{matrix}
F&\xrightarrow{f}&F&\hookrightarrow&G&\xrightarrow{g}&K^{\times}\\
\downarrow&&\downarrow&&\downarrow&&\downarrow\\
Spin(V,q)&\hookrightarrow&Pin(V,q)&\hookrightarrow&P(V,q)&\hookrightarrow&\widetilde{P}(V,q)\\
\downarrow&&\scriptsize{\beta}\downarrow\phantom{\beta}&&\downarrow&&\downarrow\\
SO(V,q)&\hookrightarrow&O(V,q)&=&O(V,q)&=&O(V,q)
\end{matrix}\] Die unteren senkrechten Abbildungen

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