1. Clifford Algebren

1.0.1. Definition. Es sei \(V\) ein Vektorraum über dem kommutativen Körper \(K\). Eine quadratische Form auf \(V\) ist eine Abbildung \(q\colon V\to K\), für die gilt

  • \(q(kv)=k^2\,q(v)\) für \(k\in K, v\in V\)
  • die Abbildung \[\widetilde{b}\colon V\times V\to K,\, (v,w)\mapsto q(v+w)-q(v)-q(w)\] ist \(K\)-bilinear.

Wir nennen das Paar \((V,q)\) einen quadratischen Raum über \(K\).

Die Theorie quadratischer Formen wird besonders interessant über Körpern der Charakteristik 2. Aber das soll uns an dieser Stelle nicht weiter kümmern. Ist \(\mathrm{char}K\not= 2\), so erhält man aus der Polarisierung \(b(v,w):=\frac12 \widetilde{b}(v,w)\) die quadratische Form \(q(v)=b(v,v)\) zurück.

1.0.2. Definition. Die Clifford-Algebra \(Cl(V,q)\) zu einem quadratischen Raum \((V,q)\) über dem Körper \(K\) ist eine assoziative \(K\)-Algebra mit 1, zusammen mit einer \(K\)-linearen Abbildung \(\iota\colon V\to Cl(V,q)\), für die gilt \[\iota(v)\cdot \iota(v)+q(v)=0.\] Sie ist als solche universell. Das heißt, ist \(A\) eine beliebige assoziative \(K\)-Algebra mit Eins, \(\phi\colon V\to A\) eine \(K\)-lineare Abbildung, so dass die Gleichung \(\phi(v)\cdot\phi(v)+q(v)\cdot 1=0\) für alle \(v\in V\) erfüllt ist, so existiert ein eindeutig bestimmter \(K\)-Algebrenhomomorphismus \(\Phi\colon Cl(V,q)\to A\) mit \(\Phi\circ \iota=\phi\).

Solche Clifford-Algebren existieren immer und sind bis auf eindeutige Isomorphie jeweils eindeutig bestimmt. Zur Konstruktion nimmt man die Tensor-Algebra \(\mathcal T(V)=\oplus_{n=0}^\infty V^{\otimes n}\) und teilt das zweiseitige Ideal \(\mathcal I(V,q)\) heraus, das von Elementen der Form \(v\otimes v+q(v)1\) erzeugt wird. Die Abbildung \[\iota\colon V=V^{\otimes 1}\hookrightarrow \mathcal T(V)\to Cl(V,q)=\mathcal T(V)/\mathcal I(V,q)\] ist von der Inklusion der ersten Tensorpotenz in die Tensoralgebra induziert.

1.0.3. Bemerkungen.

  • Ist \(q=0\), so ist die zugehörige Clifford-Algebra kanonisch isomorph zur äußeren Algebra \(\Lambda^*V\).
  • Die Clifford-Algebra ist filtriert, d.h. es existiert eine natürliche Folge von Untervektorräumen \(\mathcal F^0\subset \mathcal F^2\subset \mathcal F^3\ldots\subset Cl(V,q)\) mit \(\mathcal F^k\cdot \mathcal F^l\subset \mathcal F^{k+l}\). Diese Unterräume entstehen als Quotienten der Filtrierung der Tensoralgebra durch ihre Partialsummen \(\oplus_{n=0}^k V^{\otimes n} \). Die assoziierte graduierte Algebra \(Gr\left(Cl(V,q)\right)\) kommt mit einer linearen Abbildung \(V\to \mathcal F^1/\mathcal F^0\) und alle Quadrate von Bildelementen sind Null. Die universelle Eigenschaft der äußeren Algebra induziert einen Algebrenhomomorphismus \(\Lambda^*V\to Gr\left(Cl(V,q)\right)\). Dies ist ein Isomorphismus. Mehr dazu in den Übungen.
  • Ist \(\mathrm{char}\, K=0\), so definiert die Vorschrift \[v_1\wedge v_2\wedge\ldots\wedge v_r\mapsto \frac1{r!}\sum_{\sigma\in S_r}\mathrm{sign}(\sigma)\, \iota(v_1)\cdot \iota(v_2)\cdot\ldots\cdot \iota(v_r)\] einen kanonischen, die Filtrierungen respektierenden Vektorraum-Isomorphismus \[\Lambda^*V\to Cl(V,q).\]
  • Die Konstruktion der Clifford-Algebra ist funktoriell: Ein Morphismus \(f\colon (V,q)\to (V',q')\) quadratischer Räume, d.h. eine lineare Abbildung \(f\colon V\to V'\) mit \(q'\left(f(v)\right)=q(v)\) für alle \(v\in V\), induziert aufgrund der universellen Eigenschaft einen Algebren-Homomorphismus \(Cl(V,q)\to Cl(V',q')\). Insbesondere erhalten wir einen injektiven Gruppenhomomorphismus \[O(V,q)\hookrightarrow \mathrm{Aut}\left(Cl(V,q)\right)\] der orthogonalen Gruppe der quadratischen Form in die Automorphismengruppe ihrer Clifford-Algebra.

1.0.4. Wichtige Abbildungen. Zur Analyse der Struktur der Clifford-Algebren sind die folgenden beiden Abbildungen interessant:

  • Der Algebrenautomorphismus \(\alpha\colon Cl(V,q)\to Cl(V,q)\) ist induziert vom Automorphismus \(-\mathrm{id}_V\colon v\mapsto -v\). Ist \(\mathrm{char}(K)\not=2\), so gibt es wegen \(\alpha^2=1\) eine Zerlegung \[Cl(V,q)\cong Cl^0(V,q)\oplus Cl^1(V,q)\] in die \(\pm1\)-Eigenräume. Da \(\alpha\) ein Algebrenhomomorphismus ist, erhalten wir eine \(\mathbb Z/2\)-graduierte Algebra, d.h. es gilt \[Cl^i(V,q)\cdot Cl^j(V,q)\subset Cl^{i+j}(V,q).\] Hier wird die Summe \(i+j\) der Indizes modulo \(2\) gerechnet.
  • Die Transposition \[ Cl(V,q)\to Cl(V,q), \quad \phi\mapsto \phi^t\] ist ein Anti-Autormorphismus, d.h. \((\phi\cdot\psi)^t=\psi^t\cdot\phi^t\). Die Umkehrung der Reihenfolge \( V^{\otimes n}\to V^{\otimes n}, v_1\otimes\ldots\otimes v_n\mapsto v_n\otimes \ldots\otimes v_1\) liefert einen Anti-Automorphismus der Tensoralgebra, welcher das Ideal \(\mathcal I(V,q)\) in sich überführt, und sich folglich auf die Quotientenalgebra \(Cl(V,q)\) vererbt.
  • Transposition kommutiert mit \(\alpha\), das heißt für alle \(\phi\in Cl(V,q)\) gilt \(\alpha(\phi^t)=\alpha(\phi)^t\), da dies schon für die entsprechenden Abbildungen der Tensoralgebra gilt.

1.0.5. Tensorprodukte.

  • Das Tensorprodukt \(A\otimes_K B\) zweier \(K\)-Algebren \(A\) und \(B\) erhält vermittels der Vorschrift \[(a\otimes b)\cdot(a'\otimes b'):=(aa')\otimes (bb')\] wieder die Struktur einer \(K\)-Algebra.
  • Das graduierte Tensorprodukt \(A\widehat{\otimes}_K B\) zweier \(\mathbb Z/2\)-graduierter \(K\)-Algebren \(A=A^0\oplus A^1\) und \(B=B^0\oplus B^1\) ist wieder auf dieselbe Weise graduiert: \[\begin{aligned}\left(A\widehat{\otimes}_K B\right)^0&= A^0\otimes B^0\;\oplus\;A^1\otimes B^1\\\left(A\widehat{\otimes}_K B\right)^1&= A^1\otimes B^0\;\oplus\;A^0\otimes B^1 \end{aligned}\] und erfüllt die Multiplikationsregel \[(a\otimes b)\cdot(a'\otimes b'):=(-1)^{|b|\cdot|a'|}(aa')\otimes (bb')\] für Elemente von reinem Grad.
  • Filtrierungen der Faktoren in einem Tensorprodukt vererben sich vermittels der Formel \[\mathcal F^r(A\widehat{\otimes} B) =\sum_{i+j=r} \mathcal F^i(A)\widehat{\otimes} \mathcal F^j( B).\].

1.0.6. Satz. Eine orthogonale Zerlegung \((V,q)=(V_1,q_1)\perp(V_2,q_2)\) , d.h. \(V=V_1\oplus V_2\) und \(q(v_1+v_2)=q_1(v_1)+q_2(v_2)\) für \(v_i\in V_i\), induziert einen Isomorphismus \[Cl(V,q)\to Cl(V_1,q_1)\widehat{\otimes}_K Cl(V_2,q_2).\]

Beweis. Die lineare Abbildung \[\begin{aligned} V&\to Cl(V_1,q_1)\widehat{\otimes}_K Cl(V_2,q_2)\\(v_1+v_2)&\mapsto v_1\otimes 1+1\otimes v_2
\end{aligned}\] induziert wegen \[\begin{aligned}
f(v_1+v_2)\cdot f(v_1+v_2)&= (v_1\otimes 1+1\otimes v_2)^2\\&=v_1^2\otimes 1+ (v_1\otimes 1)(1\otimes v_2)+(1\otimes v_2)(v_1\otimes 1)+1\otimes v_2^2\\ &=v_1^2\otimes 1+ v_1\otimes v_2+(-1)^{1\cdot 1} v_1\otimes v_2+1\otimes v_2^2\\
&=-q_1(v_1)-q_2(v_2)=-q(v_1+v_2)
\end{aligned}\] einen Algebrenhomomorphismus. Das Bild enthält \(Cl(V_1,q_1)\otimes 1\) und \(1\otimes Cl(V_2,q_2)\) als Unteralgebren. Daraus folgt die Subjektivität. Basen von \(V_1\) und \(V_2\) liefern Vektorraum-Basen von \(V\) und \(Cl(V,q)\). Die letztere Basis wird injektiv auf eine Vektorraum-Basis von \(Cl(V_1,q_1)\widehat{\otimes}_K Cl(V_2,q_2)\) abgebildet. Dies liefert die Injektivität der Abbildung.
qed

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