Der Tangentialraum \(T_pS\) einer regulären Fläche \(S\subset \mathbb R^3\) im Punkte \(p\in S\) ist ein Unterraum des Tangentialraums \(T_p\mathbb R^3\) des umgebenden euklidischen Raumes \(\mathbb R^3\). Wie üblich, identifizieren wir diesen Tangentialraum \(T_p\mathbb R^3\cong \mathbb R^3\) mit dem euklidischen Raum. Eine Orientierung der Fläche im Punkte \(p\) entspricht der Wahl eines der beiden zur Tangentialebene \(T_pS\subset \mathbb R^3\) senkrechten Einheitsvektors \(N_p\in S^2\subset \mathbb R^3\).
2.2.1. Definition. Sei \(S\subset \mathbb R^3\) eine orientierte, reguläre Fläche. Die Gauß-Abbildung \[N\colon S\to S^2,\quad p\mapsto N_p\] ordnet jedem Punkt der Fläche den durch die Orientierung eindeutig bestimmten Einheitsnormalenvektor zu.
Unsere Identifizierung der Tangentialräume \(T_x\mathbb R^3\cong \mathbb R^3\) für alle \(x\in \mathbb R^3\) gibt uns eine Identifizierung \[\alpha\colon T_{N_p}S^2\to T_{p}S.\] Beide Tangentialräume werden nämlich beschrieben als der zu \(N_p\in \mathbb R^3\) senkrechte Untervektorraum \(T_pS=N_p^\perp =T_{N_p}S^2\) des euklidischen Raum \(\mathbb R^3\).
2.2.2. Definition. Sei \(S\subset \mathbb R^3\) eine orientierte, reguläre Fläche. Der linear Endomorphismus \[\begin{aligned}W_p\colon T_pS &\to T_pS\\ X&\mapsto -\alpha\left(D_pN(X)\right)\end{aligned}\] der Tangentialebene wird Weingarten-Abbildung an der Stelle an der Stelle \(p\in S\) genannt. Hier beschreibt \(D_pN\colon T_pS\to T_{N_p}S^2\) das Differential der Gaußabbildung.
2.2.3. Beispiele.
- Die Gauß-Abbildung für die Sphäre \(S^2\) ist \(N=\mathrm{id}_{S^2}\). Folglich gilt \(W_p= - \mathrm{id}_{T_pS^2}\).
- Das Normalenfeld einer Ebene in \(\mathbb R^3\) ist konstant, mit verschwindendem Differential und \(W_p=0\).
- Der Zylinder \(S^1\times \mathbb R\subset \mathbb R\times \mathbb R= \mathbb R^3\) hat als Einheitsnormalenfeld \[N\pmatrix{x\\y \\z}=\pmatrix{x\\y\\0}\quad\text{ für }\quad p=\pmatrix{x\\y\\z}.\] Der Tangentialraum \(T_pS\) wird aufgespannt von den Vektoren \[e_1=\pmatrix{0\\0\\1}\quad\text{ und }\quad e_2=\pmatrix{y\\-x\\0}=A_{\pi/2}\cdot p\quad \text{ mit }\quad A_\phi=\pmatrix{\cos\phi&\sin\phi&0\\-\sin\phi&\cos\phi&0\\0&0&0}.\] Es gilt \[W_p(e_1)=-D_pN(e_1)=-\frac{d}{dt}N_{p+te_1}|_{t=0}=-\frac{d}{dt}N_{p}|_{t=0}=0\] wegen \(N_{p+te_1}=N_p\) und \[W_p(e_2)=-\frac{d}{dt}N_{A_t\cdot p}|_{t=0}=-\left(\frac{d}{dt}A_t|_{t=0}\right)\cdot p=-A_{\pi/2}\cdot p=-e_2.\] Folglich wird \(W_p\) bezüglich der Basis \(e_1,e_2\) durch die Matrix \(\pmatrix{0&0\\0&-1}\) beschrieben.
2.2.4. Definition. Sei \(S\subset \mathbb R^3\) eine orientierte, reguläre Fläche und \(p\in S\). Die Determinante \[K(p):=\det(W_p)\] der Weingarten-Abbildung \(W_p\) wird Gauß-Krümmung von \(S\) in \(p\) genannt. Die mittlere Krümmung von \(S\) in \(p\) ist definiert über die Spur von \(W_p\)\[H(p):=\tfrac12\mathrm{tr}(W_p),\]das mittlere Krümmungsfeld von \(S\) in \(p\) ist \[\mathcal H(p):=H(p)\cdot N_p.\]
2.2.5. Bemerkungen.
- Die Abbildung \(\alpha\) wird in der Notation meist unterdrückt. Bei Rechnungen im euklidischen Raum macht es wenig Sinn, die Identifizierung des Tangentialraums von \(\mathbb R^3\) mit \(\mathbb R^3\) in der Notation umständlich mitzuschleppen.
- Determinante und Spur sind Invarianten eines Endomorphismus eines \(2\)-dimensionalen reellen Vektorraums: Sie lassen sich aus einer Matrizendarstellung des Endomorphismus bezüglich einer Basis des Vektorraums berechnen. Das Resultat ist aber unabhängig von der zur Berechnung gewählten Basis. Somit ist die einzige Wahl, die in die Definition von Gauß-Krümmung und mittlerer Krümmung einer in den euklidischen Raum eingebetteten Fläche eingeht, die Orientierung des Einheitsnormalenfeldes in einer Umgebung des gegebenen Punktes.
- Bei Orientierungsumkehr wird die Weingarten-Abbildung, wie auch die mittlere Krümmung, durch ihr Negatives ersetzt. Die Gauß-Krümmung und das mittlere Krümmungsfeld sind unabhängig von der gewählten Orientierung.
- Zur Motivation der Weingarten-Abbildung betrachten wir die analoge Konstruktion bei ebenen Kurven: Das Einheitsnormalenfeld einer ebenen, regulären Kurve \(C\subset \mathbb R^2\) ist durch die Orientierung, also die Durchlaufrichtung, bestimmt. Die Abbildung \[N\colon C\to S^1,\quad p\mapsto N_p\] ordnet jedem Punkt auf der Kurve einen Einheitsnormalenvektor zu. Analog zum höher dimensionalen Fall gibt es eine Identifizierung \[\alpha\colon T_{N_p}S^1\to T_{p}C.\] Beide Tangentialräume werden nämlich beschrieben als der zu \(N_p\in \mathbb R^2\) senkrechte Untervektorraum \(T_pC=N_p^\perp =T_{N_p}S^1\) des euklidischen Raum \(\mathbb R^2\). Der Weingarten-Abbildung auf Flächen entspricht der lineare Endomorphismus \[\begin{aligned}W_p\colon T_pC &\to T_pC\\ X&\mapsto -\alpha\left(D_pN(X)\right).\end{aligned}\] Dieser Endomorphismus eines \(1\)-dimensionalen reellen Vektorraums wird durch eine reelle Zahl beschrieben. Nach der Frenet-Formel (1.1.5) ist diese Zahl die Krümmung \(W_p=\kappa(p)\) der Kurve im Punkt \(p\). Dies erklärt auch das Vorzeichen in der Definition der Weingarten-Abbildung.
2.2.6. Satz. Ist \(S\subset \mathbb R^3\) eine orientierte, reguläre Fläche, so ist die Weingarten-Abbildung selbstadjungiert bezüglich der ersten Fundamentalform.
Beweis. Es sei \(N\) ein Einheitsnormalenfeld und \(F\colon U\to V\) eine lokale Parametrisierung der Fläche mit \(F(u)=p\). Für \(i\in\{1,2\}\) beschreiben \[\tfrac{\partial}{\partial u^i} =D_uF(e_i)\in T_pS\] die durch die Parametrisierung induzierten Vektorfelder. Das Normalenfeld \(N\colon U\to \mathbb R^3\) steht senkrecht zu diesen Vektorfeldern \[\left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^i} ,N\right\rangle=0.\] Ableiten dieser Gleichung liefert \[\begin{aligned} 0=&\frac{d}{dt}\left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^i}(u+te_j) ,N(u+te_j)\right\rangle|_{t=0}\\
=& \left\langle \tfrac{\partial^2 F}{\partial u^j\partial u^i}(u) ,N(u)\right\rangle + \left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^i}(u) ,D_uN(e_j)\right\rangle\\
=& \left\langle \tfrac{\partial^2 F}{\partial u^j\partial u^i} ,N\right\rangle - \left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^i} , W(e_j)\right\rangle.\end{aligned}
\] Aus dem Satz von Schwarz, d.h. der Vertauschbarkeit von partiellen Ableitungen von Funktionen, erhalten wir die behauptete Selbstadjungiertheit \[ \left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^i} , W(e_j)\right\rangle=\left\langle \tfrac{\partial^2 F}{\partial u^j\partial u^i} ,N\right\rangle=
\left\langle \tfrac{\partial^2 F}{\partial u^i\partial u^j} ,N\right\rangle = \left\langle W(e_i), \tfrac{\partial}{\partial u^j} ,\right\rangle.\]qed
2.2.7. Definition. Die zweite Fundamentalform der orientierten Fläche \(S\) im Punkte \(p\) ist für Tangentialvektoren \(X,Y\in T_pS\) definiert durch die Gleichung \[II_p\left(X,Y\right):=I_p\left(W_p(X),Y\right).\]
Da die Weingarten-Abbildung selbstadjungiert ist bezüglich der ersten Fundamentalform, beschreibt die zweite Fundamentalform, wie auch die erste, in jedem Punkt \(p\) der Fläche eine symmetrische Bilinearform \[II_p\colon T_pS\times T_pS\to \mathbb R.\]
2.2.8. Definition. Die beiden Eigenwerte \(\kappa_1\le \kappa_2\) der selbstadjungierten Weingarten-Abbildung \(W_p\) heißen Hauptkrümmungen der Fläche \(S\) im Punkte \(p\). Bilden \(X_1,X_2\in T_pS\) eine Orthonormalbasis von Eigenwerten, so heißen \(\pm X_1\) und \(\pm X_2\) die Hauptkrümmungsrichtungen.
Gaußsche Krümmung und mittlere Krümmung lassen sich aus den beiden Hauptkrümmungen einfach berechnen: \[K(p)=\kappa_1\cdot\kappa_2\quad \text{ und }\quad H(p)=\tfrac12\left(\kappa_1+\kappa_2\right).\] Umgekehrt lassen sich die beiden Hauptkrümmungen aus Gaußscher und mittlerer Krümmung als Nullstellen des Polynoms \(X^2-2H_pX+K_p\) berechnen. Insbesondere gilt \(H^2_p-K_p\ge 0\) und \begin{aligned} \kappa_1&=H_p-\sqrt{H_p^2-K_p} \\ \kappa_2&=H_p+\sqrt{H_p^2-K_p}\end{aligned}
2.2.9. Rechnung in lokalen Koordinaten. Eine lokale Parametrisierung \(F\colon U\to V, u\mapsto p=F(u)\) einer regulären Fläche \(S\) liefert uns für \(i\in\{1,2\}\) Vektorfelder \[\tfrac{\partial}{\partial u^i} =D_uF(e_i)=\pmatrix{\tfrac{\partial F^1}{\partial u^i} \\\tfrac{\partial F^2}{\partial u^i} \\\tfrac{\partial F^3}{\partial u^i} }.\] Die erste Fundamentalform \(I_p\colon T_pS\times T_pS\) erhalten wir aus dem euklidischen Skalarprodukt auf dem \(\mathbb R^3\), verstanden als der Tangentialraum \(T_p\mathbb R^3\). Bezüglich der Basis \(\tfrac{\partial}{\partial u^1},\tfrac{\partial}{\partial u^2}\) von \(T_pS\) wird diese beschrieben durch die Matrix \[
I_p =\pmatrix{g_{11}&g_{12}\\ g_{21}&g_{22}} =
\pmatrix{ \left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^1},\tfrac{\partial}{\partial u^1}\right\rangle &
\left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^1},\tfrac{\partial}{\partial u^2}\right\rangle \\
\left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^2},\tfrac{\partial}{\partial u^1}\right\rangle &
\left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^2},\tfrac{\partial}{\partial u^2}\right\rangle } =
\pmatrix{ \sum_{k=1}^3 \tfrac{\partial F^k}{\partial u^1}\tfrac{\partial F^k}{\partial u^1} &
\sum_{k=1}^3 \tfrac{\partial F^k}{\partial u^1}\tfrac{\partial F^k}{\partial u^2} \\
\sum_{k=1}^3 \tfrac{\partial F^k}{\partial u^2}\tfrac{\partial F^k}{\partial u^1} &
\sum_{k=1}^3 \tfrac{\partial F^k}{\partial u^2}\tfrac{\partial F^k}{\partial u^2}
}.
\] Der Normalenvektor \(N_p\) zur Tangentialebene \(T_pS\subset T_p\mathbb R^3=\mathbb R^3\) berechnet sich über das Kreuzprodukt \[ N_p =
\frac{\tfrac{\partial}{\partial u^1}\times\tfrac{\partial}{\partial u^2}}{\left\|\tfrac{\partial}{\partial u^1}\times\tfrac{\partial}{\partial u^2}\right\|} .
\] Voll ausschreiben in den partiellen Ableitungen der Parametrisierung \(F\) wollen wir diese Formel nicht wirklich. Der Beweis von Satz 2.2.6 lieferte uns eine Formel für die zweite Fundamentalform \(II_p\colon T_pS\times T_pS\to \mathbb R\). Bezüglich der Basis \(\tfrac{\partial}{\partial u^1},\tfrac{\partial}{\partial u^2}\) von \(T_pS\) wird diese beschrieben durch die Matrix \[
II_p = \pmatrix{h_{11}&h_{12}\\ h_{21}&h_{22}} =
\pmatrix{
\left\langle \tfrac{\partial^2 F}{\partial u^1\partial u^1},N_p\right\rangle &
\left\langle \tfrac{\partial^2 F}{\partial u^1\partial u^2},N_p\right\rangle \\
\left\langle \tfrac{\partial^2 F}{\partial u^2\partial u^1},N_p\right\rangle &
\left\langle \tfrac{\partial^2 F}{\partial u^2\partial u^2},N_p\right\rangle }.
\] Die Weingarten-Abbildung \(W_p\colon T_pS\to T_pS\) lässt sich ebenfalls bezüglich unserer Basis in einer Matrix beschreiben vermittels der Vorschrift \(W_p\left(\tfrac{\partial}{\partial u^j}\right)=\sum_{i=1}^2w_j^i\tfrac{\partial}{\partial u^i}\). Aus der definierenden Gleichung der zweiten Fundamentalform\[
h_{ij}=II_p\left(\tfrac{\partial}{\partial u^i},\tfrac{\partial}{\partial u^j}\right)=I_p\left(W_p\left(\tfrac{\partial}{\partial u^i}\right),\tfrac{\partial}{\partial u^j}\right)=\left\langle \sum_{k=1}^2 w_i^k\tfrac{\partial}{\partial u^k},\tfrac{\partial}{\partial u^j}\right\rangle=\sum_{k=1}^2 w_i^kg_{kj}\] erhalten wir eine Matrixgleichung \[ II_p=\pmatrix{h_{11}&h_{12}\\ h_{21}&h_{22}}= \pmatrix{w_1^1&w_1^2\\w_2^1&w_2^2}\pmatrix{g_{11}&g_{12}\\ g_{21}&g_{22}} =W_pI_p.\] An dieser Stelle sollten wir höchste Vorsicht walten lassen: Diese drei Matrizen beschreiben verschiedene Arten von Objekten! Zwei der drei Matrizen beschreiben Bilinearformen, die dritte einen Endomorphismus. Mittels der inversen Matrix \[I_p^{-1}:= \pmatrix{g^{11}&g^{12}\\ g^{21}&g^{22}}=\pmatrix{g_{11}&g_{12}\\ g_{21}&g_{22}}^{-1} =\frac1{\det(I_p)}\pmatrix{g_{22}&-g_{12}\\ -g_{21}&g_{11}}\] lässt sich die Matrix der Weingarten-Abbildung auch als Matrixprodukt \( W_p= II_p\cdot I_p^{-1}\) oder \[w_i^j=\sum_{k}h_{ik}g^{kj}\] schreiben. Insbesondere erhalten wir für die Gauß-Krümmung die einprägsame Formel \[K(p)=\frac{\det II_p}{\det I_p}.\]
2.2.10. Beispiel. Das hyperbolische Paraboloid \(S\), zu deutsch auch Sattelfläche, ist der Graph der Funktion \((x,y)\mapsto \tfrac12(x^2-y^2)\), oder auch die Nullstellenmenge der Funktion \[f\colon (x,y,z)\mapsto z-\tfrac12(x^2-y^2).\] Der Normalenvektor berechnet sich als der normalisierte Gradient \[N=\frac{\mathrm{grad}(f)}{\|\mathrm{grad}(f)\|}=\frac1{\sqrt{1+x^2+y^2}}(-x,y,1).\] Im Nullpunkt \(p=(0,0,0)\) wird der Tangentialraum \(T_pS\) von der Orthonormalbasis \(e_1,e_2\) aufgespannt. Diese Tangentialvektoren sind die Geschwindigkeitsvektoren der in der Sattelfläche verlaufenden Kurven \(c_1\colon t\mapsto (t,0,\tfrac12 t^2)\) und \(c_2\colon t\mapsto (0,t,-\tfrac12t^2)\) zum Zeitpunkt \(t=0\). Die Ableitung der Gauß-Abbildung in die beiden Einheitsrichtungen erhalten wir aus der Berechnung der Ableitung des Normalenvektors entlang der beiden Kurven \(c_1\) und \(c_2\): \begin{aligned}D_pN(e_1)&=
\frac{d}{dt}N(c_1(t))|_{t=0}=\frac{d}{dt}\frac1{\sqrt{1+t^2}}(-t,0,1)|_{t=0}=-e_1\\
D_pN(e_2)&=\frac{d}{dt}N(c_1(t))|_{t=0}=\frac{d}{dt}\frac1{\sqrt{1+t^2}}(0,t,1)|_{t=0}=e_2\end{aligned} Die Weingarten-Abbildung wird also bezüglich der Standard-Einheitsvektoren durch die Matrix \[W_p=\pmatrix{1&0\\0&-1}\] beschrieben. Daraus berechnen wir die Hauptkrümmungen, die Gauß-Krümmung und die mittlere Krümmung \[\kappa_1=-\kappa_2=-1, \quad K(p)=-1,\quad H(p)=0.\]
Reguläre Kurven besitzen eine Standard-Parametrisierung, nämlich die nach Bogenlänge. Bei Flächen gibt es keine vergleichbare Standard-Parametrisierung. Es gibt allerdings lokale Parametrisierungen, die die Rolle der Krümmung gut darstellen können. Eine solche wird im folgenden Satz beschrieben.
2.2.11. Satz. Sei \(S\subset \mathbb R^3\) eine reguläre Fläche und \(X_1,X_2\) eine Orthonormalbasis im Tangentialraum \(T_pS\) des Punktes \(p\in S\). Weiterhin sei \(N\) ein in einer Umgebung von \(p\) definiertes Einheitsnormalenfeld auf \(S\). Dann existiert eine lokale Parametrisierung \(F\colon U\to V\) von \(S\) um \(p\) mit den folgenden Eigenschaften:
Hier beschreiben \(g_{ij},h_{ij}\) die Komponenten ersten und zweiten Fundamentalform bezüglich der Parametrisierung \(F\colon U\to V\). Der Term \(O\left(\|u\|^k\right)\) beschreibt eine Funktion \(\varphi\), so dass \(\tfrac\varphi{\|u\|^k}\) in einer Umgebung von \((0,0)\in U \) beschränkt ist.
Beweis. Die gesuchte Parametrisierung wird, ausgehend von einer beliebig vorgegebenen lokalen Parametrisierung \(F_0\colon U_0\to V_0\) von \(S\) um \(p\), in mehreren Schritten konstruiert.
- Schritt: Es gelte \(F(x_0)=p\) für \(x_0\in U_0\). Setzen wir \(V_1=V_0\) und \(U_1:=U_0-x_0\), sowie \(F_1(u):= F_0(u+x_0)\), so können wir die erste Bedingung erfüllen.
- Schritt: Sind \(Y_1,Y_2\in \mathbb R^2\) mit \(D_{(0,0)}F_1(Y_i)=X_i\), so sei \(A\colon \mathbb R^2\to \mathbb R^2\) die lineare Abbildung, die die Standard-Einheitsvektoren \(e_i\) auf die \(Y_i\) abbildet. Setzen wir \(\left(U_2,V_2,F_2\right)=\left(A^{-1}(U_1), V_1,F_1\circ A\right)\), so gilt nach der Kettenregel \[ \tfrac{\partial F_2}{\partial u^i}(0,0)=D_{(0,0)}F_2(e_i)= D_{(0,0)}F_1\circ A(e_i)=D_{(0,0)}F_1(Y_i)=X_i\] und damit \[g_{ij}(0,0)=
\left\langle \tfrac{\partial F_2}{\partial u^i},\tfrac{\partial F_2}{\partial u^j}\right\rangle = \left\langle X_i,X_j\right\rangle=\delta_{ij}.\] - Schritt: Die Taylor-Entwicklung von \(F_2\) um den Nullpunkt bezüglich der Koordinaten \((v^1,v^2)\) ist von der Form \[
F_2(v^1,v^2)=p+ \sum_{k=1}^2v^kX_k + \tfrac12 \sum_{i,j=1}^2 v^iv^j\tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j}(0,0) +O\left(\|v\|^3\right).\] Wir zerlegen die quadratischen Terme in ihre tangentialen und normalen Beiträge \[\tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j}(0,0)=
\sum_{k=1}^2\left\langle \tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j},X_k\right\rangle X_k + \left\langle \tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j},N_p\right\rangle N_p\] und definieren für \(k\in \{1,2\}\) neue Koordinaten \[u^k:= v^k + \tfrac12\sum_{i,j=1}^2 v^iv^j\left\langle \tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j},X_k\right\rangle\] und behaupten, diese Koordinaten liefern das Gewünschte.
Um dies nachzuweisen, betrachten wir die durch diese neuen Koordinaten beschriebene Abbildung \(\psi\colon U_2\to \mathbb R^2, (v^1,v^2)\mapsto (u^1,u^2)\). Die Ableitung an der Null \(D_{(0,0)}\psi\) ist die Identität. Folglich gibt es eine Umgebung \(U_3\subset U_2\), in der \(\psi\colon U_3\to U\subset \mathbb R^2\) einen Diffeomorpismus beschreibt. Wir setzen \(F_3:=F_2|_{U_3}\). Die lokale Parametrisierung \(F\colon U\to V\) bekommen wir aus dieser Konstruktion durch \(F:=F_3\circ\psi^{-1}\) und durch Wahl einer offenen Menge \(V\subset \mathbb R^3\), so dass die Abbildung \(F\colon U\to F(U)\cap V\) bijektiv ist.
- Es gilt \(F(0,0)=F_3\left(\psi^{-1}(0,0)\right)=F_3\left(0,0\right)=F_2\left(0,0\right)=p\).
- Die Taylorentwicklung von \(F\) ist von der Form \begin{aligned} F(u^1,u^2)&=F\left(\psi(v^1,v^2)\right)=F_3(v^1,v^2)\\
&= p+ \sum_{k=1}^2\left(v^k + \tfrac12 \sum_{i,j=1}^2 v^iv^j \left\langle \tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j},X_k\right\rangle\right)X_k +
\left(\tfrac12 \sum_{i,j=1}^2 v^iv^j \left\langle \tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j},N_p\right\rangle\right) N_p +
O\left(\|v\|^3\right)\\
&= p+\sum_{k=1}^2u^kX_k +\left(\tfrac12\sum_{i,j=1}^2 v^iv^j \left\langle \tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j} , N_p \right\rangle \right) N_p +O\left(\|v\|^3\right)
\end{aligned} Wegen \(v^k=u^k+O\left(\|u\|^2\right)\) folgt \(O\left(\|v\|^3\right)=O\left(\|u\|^3\right)\) und \(v^iv^j=u^iu^j+O\left(\|u\|^3\right)\). Damit erhalten wir \begin{aligned} F(u^1,u^2)&= p+\sum_{k=1}^2u^kX_k +\left(\tfrac12\sum_{i,j=1}^2 u^iu^j \left\langle \tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j} , N_p \right\rangle \right) N_p +O\left(\|u\|^3\right).
\end{aligned} Zweifache partielle Ableitung nach \(u^i\) und \(u^j\) liefert \[h_{ij}(0,0)=\left\langle \tfrac{\partial^2F_2}{\partial u^i\partial u^j} , N_p \right\rangle =
\left\langle \tfrac{\partial^2F_2}{\partial v^i\partial v^j} , N_p \right\rangle \] und schließlich \begin{aligned}
F(u^1,u^2)&= p+\sum_{k=1}^2u^kX_k +\left(\tfrac12\sum_{i,j=1}^2 h_{ij}u^iu^j \right) N_p +O\left(\|u\|^3\right).
\end{aligned} - Aus dieser Taylorentwicklung erhalten wir \[\tfrac{\partial}{\partial u^i}=\tfrac{\partial F}{\partial u^i}=X_i+ \left(\sum_{k=1}^2h_{ik}u^k\right) N_p+O\left(\|u\|^2\right)\] und durch Ausmultiplizieren \begin{aligned} g_{ij}&=\left\langle \tfrac{\partial}{\partial u^i},\tfrac{\partial}{\partial u^j}\right\rangle\\
&=\left\langle X_i,X_j\right\rangle+ \left\langle X_i, \left(\sum_{k=1}^2h_{jk}u^k\right) N_p+O\left(\|u\|^2\right)\right\rangle+
\left\langle \left(\sum_{k=1}^2h_{ik}u^k\right) N_p+O\left(\|u\|^2\right), X_j\right\rangle\\
&=\delta_{ij}+O\left(\|u\|^2\right)\end{aligned} da \(X_i, X_j\) senkrecht zu \(N_p\) stehen.
qed
2.2.12. Korollar. Jede reguläre Fläche kann lokal als Graph über ihrer Tangentialebene dargestellt werden. Sind \(X_1,X_2\) orthonormale Einheitsvektoren in den beiden Hauptkrümmungsrichtungen im Punkte \(p\in S\), so wird \(S\) lokal um den Punkt \(p\) parametrisiert durch eine Abbildung \(F\colon U\to V\) der Form \[F\colon (u^1,u^2)\mapsto p+ \sum_{i=1}^2 u^iX_i + \tfrac12\left(\sum_{i=1}^2 \kappa_i u^iu^i\right)X_1\times X_2 + O\left(\|u\|^3\right),\] wo \(\kappa_1,\kappa_2\) die beiden Hauptkrümmungen bezeichnen.
2.2.13. Definition. Ist \(S\subset \mathbb R^3\) eine reguläre Fläche, so heißt ein Punkt \(p\) in \( S\)